Vorbereitung
Ich hatte das Streckenprofil genau studiert und für jeden Abschnitt eine Zeitschätzung gemacht. So kam ich auf eine realistische Marschtabelle mit einer Totalzeit von 7h. Das würde dann heissen, 21:00 Uhr in Davos im Ziel. (Hätte ich die 7h einhalten können, hätte ich den 3. Gesamtrang und den Sieg in meiner Alterskategorie erreicht. Meine Marschtabelle war also absolut unrealistisch. Der Post heisst ja auch „Geballte Erfahrungen“)
Am Samstag Morgen bin ich mit dem Auto nach Davos gefahren und habe es in der Nähe des Ziels parkiert. Dann habe ich den Bus nach Lenzerheide genommen. Im Auto hatte ich bewusst meine Lieblingslieder gehört, denn normalerweise läuft einem dann auf der ganzen Strecke „eines nach“. Im Postauto lief dann aber auch der Radio und prompt hat sich Florian Ast „Du bisch min Ängel“ eingeschlichen.
Auf der Lenzerheide war dann genügend Zeit für die Startvorbereitungen. Inzwischen kenne ich das ganze Prozedere und war mit der ganzen Ausrüstung um 14:00 Uhr für den Start bereit.
Meine Taktik war, gut auf die Pulsuhr zu achten und bis zum höchsten Punkt, dem Weisshorn bei Streckenmitte nicht über 160 Schläge/Minute zu gehen. So würde ich meine Energiereserven nicht zu früh verschiessen.
Kurz vor dem Start auf der Lenzerheide |
Lenzerheide – Joch / 10km , 544m Aufstieg / Zeit geplant: 1:25 / Zeit gelaufen: 1:21
Gut 80 Läuferinnen und Läufer machen sich um 14:00 Uhr auf den Weg. Das Wetter ist perfekt. Kein Regen in Sicht und Temperaturen zwischen 15° und 20°. Ich bemerke schon bald, dass mein Drang nach vorne zu laufen sich wieder bemerkbar macht. Der Puls ist auch schon über 160. Ich halte mich zurück und sage mir, dass die Anderen das zu hohe Anfangstempo büssen werden. Bei den Aufstiegen versuche ich erst gar nicht zu laufen, sondern marschiere. Ich bin so gar nicht viel langsamer, spare aber Energie.
Am Anfang ist das Feld noch ziemlich geschlossen und es geht im Konvoi |
Kurz nach Valbella verpassen die Läufer vor uns eine Abzweigung und verschwinden im Wald. Der Läufer vor mir merkt das und wir nehmen den richtigen Weg. Ich überhole ihn und sehe nun keinen mehr vor mir. Die Strecke ist gut markiert und hier auch gut laufbar.
Aufstieg zum Joch (oben in der Bildmitte) |
Um mich herum ist ein Schweizer, welcher bergauf langsamer, auf der Ebene und abwärts schneller ist als ich. Dann noch zwei englischsprachige Jungs, welche gemeinsam laufen. Sie laufen relativ langsam, aber auch in steilen Steigungen ohne Marschpause. Der Schweizer hat Stöcke dabei. Da ich aber aufwärts schneller bin, denke ich die bringen gar nicht viel. (Auch diese Einschätzung werde ich in den nächsten Stunden noch korrigieren). Das Joch (2020 müM) erreiche ich nach 1:21. Etwas schneller als meine Marschtabelle. Das Leben ist schön und ich bin ja so toll!
Joch – Tschiertschen / 3km , 707m Abstieg / Zeit geplant: 0:30 / Zeit gelaufen: 0:31
Der Downhill startet genial. Ein Singletrail über Weiden und durch Wälder. Ich lasse es fliegen und kann einige Läufer überholen. Ich merke, ich bin der geborene Downhill-Läufer. (Die nächste Einschätzung, die noch zerlegt werden wird). Dass man sich in dieser frühen Phase bergab etwas schonen sollte, schlage ich in den Wind, da es so viel Spass macht. Wie hat mir Markus Hauri letzte Woche gesagt: „Der Muskelkater setzt sowieso erst am nächsten Tag ein.“.
Ankunft in Tschiertschen |
Kurz vor Tschiertschen werde ich dann auch mal überholt und merke zum ersten Mal, dass ich längst nicht der Schnellste bin bergab. In Tschiertschen ist dann der erste Verpflegungsposten. Wie es sich in Graubünden gehört, gibt es sogar Bündnerfleisch. Ich bediene mich und als Dessert gibt es ein Schoko-Törtchen. Tiptop! – Leider fülle ich in beide Flaschen Iso-Getränk statt Wasser. In die eine kippe ich dann noch einen Beutel meines Iso-Pulvers. Meinen Irrtum bemerke ich erst, als ich die Verpflegungs-Station schon verlassen habe.
Tschiertschen – Weisshorn / 9km , 1340m Aufstieg / Zeit geplant: 2:00 / Zeit gelaufen: 2:08
Nun gehe ich also mit einer Flasche Iso-Getränk und einer ungeniessbaren Flasche Iso-Getränk auf die „Königsetappe“. Auf einer Alp unterwegs hat es Wasser und ich kann den Irrtum glücklicherweise korrigieren.
Der Aufstieg hier ist nun deutlich steiler, als der aufs Joch. Es gibt praktisch keine laufbaren Strecken mehr und ich marschiere. Der Puls bewegt sich praktisch ständig über 160 und ich muss aufpassen, dass ich hier nicht alle „Körner“ verbrauche.
Aufbruch in Tschiertschen. Der höchste Punkt über dem Chalet ist das Weisshorn |
Erfreulich ist, dass ich wesentlich öfter überholen kann, als dass ich überholt werde. Die GPS-Uhr zeigt mir die Höhe an. Ich freue mich über die Fortschritte und rechne aus, wie viel ich noch steigen muss. Da ich von einer Gipfelhöhe von 2450 müM ausgehe, dass Weisshorn aber tatsächlich 2650 müM ist, gibt es einen rechten Dämpfer. Im Aufstieg passiere ich die 30km und die 25km Reststrecken-Markierungen. Das sind für mich in der Ebene recht lockere Strecken. Heute wird das anders sein.
Kurz vor dem Gipfel treffe ich auf Stefan. Er bittet mich, mit seinem Handy ein Foto von ihm zu machen. Wir werden die nächsten 20km immer in der Nähe laufen. Auf dem Gipfel kommt dann auch noch Thomas dazu. Bergauf bin ich vorne. Bergab die anderen beiden. (Leider ist das letzte Stück bergab).
Im Aufstieg werde ich vom späteren Sieger des T81 überholt. Beeindruckend, wie der den Berg hochwetzt! (Natürlich mit Stöcken).
Weisshorn-Gipfel |
Je näher der Gipfel kommt, desto steiler wird es. Vom marschieren in der Neigung brennen mir die Fusssohlen. Ich sehe aber, dass andere noch viel mehr leiden. Oben ist es zügig und mit den schweissnassen Kleidern wird es nun frisch. In der Bergstation gibt es Wasser und Brot. Wie im Gefängnis, nur viel besser! Ich setze mich kurz hin, da man ja aber auch beim marschieren essen und trinken kann, macht sitzen keinen Sinn und ich mache mich wieder auf die Socken. Ich habe zwar etwas Boden verloren, ich bin aber immer noch genau auf der Marschtabelle. Von nun an wird es nur noch leichter! (Eine Einschätzung, …….)
Weisshorn – Arosa / 5km , 860m Abstieg / Zeit geplant: 0:40 / Zeit gelaufen: 0:49
Dieser Downhill besteht nicht aus Singletrail. Eine breite steile Geröllrampe lässt die Fusssohlen gleich weiterbrennen. Die Leute, welche ich im Aufstieg überholt habe, laufen nun locker an mir vorbei. Ich weiss nicht, woran es liegt, aber bergab habe ich definitiv Steigerungspotential. Die einzigen, welche ich überholen kann, sind Läufer des T141. Die haben aber auch schon fast 120km in den Beinen und ich kann ihnen nur gratulieren.
Blick hinunter nach Arosa. Davos liegt hinter der nächsten Bergkette. |
Bergab finden immer wieder Steine den Weg in die Schuhe. Ich werde mir nächste Woche Gamaschen kaufen, damit ich dieses Problem das nächste Mal nicht mehr habe. Als es einmal flach wird und ich etwas forcieren will, bekomme ich Krämpfe in den Waden. Zudem werden die brennenden Fusssohlen von Steinen malträtiert. Ich setze mich auf eine Bank und drücke einen Energie-Gel mit Salz-Zusatz runter. Dann ziehe ich beide Schuhe aus und leere diese. Nach dieser kurzen Rast geht es locker weiter nach Arosa. Ich freue mich, denn ich war noch nie in Arosa. Zudem hat es hier eine grosse Verpflegungsstation.
Verpflegung: links Wasser – rechts Iso-Getränk |
Die Station befindet sich in einer Zivilschutzanlage drin. Hier gibt es auch einen Arzt, welcher mit jedem Läufer kurz spricht. Bei uns T41 ist das keine Sache. Die Läufer von T141 und T201 sind bereits einen ganzen bzw. anderthalb Tage unterwegs. Da kann man schon Beschwerden haben. Ich halte mich wieder an Bündnerfleisch und Schoko-Törtchen. Ich überlege mir noch, einen Becher Bouillon zu nehmen, bin aber zu ungeduldig und will weiter. Ich bin nun etwas hinter meiner 7h-Marschtabelle, das macht mir aber wenig aus. Dann werden es halt ein paar Minuten länger. (Es sollten 80 Minuten werden)
Arosa – Strelapass / 14km , 187m Abstieg, 464m Aufstieg, 239m Abstieg, 515m Aufstieg /
Zeit geplant: 1:45 / Zeit gelaufen: 2:43
Draussen vor der Zivilschutzanlage treffe ich Thomas und Stefan wieder. Stefan hat mit seiner Frau telefoniert und berichtet, dass wir im momentan im ersten Drittel rangiert seien. Das tönt sehr gut, dann versuchen wir die Positionen zu halten. Zuerst geht es runter zum Stausee. Meine Füsse schmerzen und das linke Fussgelenk macht sich wieder etwas bemerkbar (siehe 100km Biel). Es geht mir immer wieder eine Satz durch den Kopf, welcher von einem amerikanischen Spitzen-Ultra-Läufer stammt: „Not all pain is significant“. Also Augen zu und durch. Nach dem Stausee beginnt die nächste Steigung. Ich überhole bald einen Italiener, mit welchem ich das „Auf-Ab-Jo-Jo“ auf den letzen Kilometern bereits gespielt hatte. Dieses mal sehe ich ihn zu letzten Mal. Er holt mich nicht mehr ein.
Wieder mal Stefan „fressen“. Am Schluss hat er allerdings die Nase vorne. |
Stefan kann ich auch wieder überholen. Ich frage ihn nach der Wirksamkeit der Stöcke. Er sagt, er sei gottenfroh, dass es sie mitgenommen habe. Er meint ich wäre eine halbe Stunde schneller mit den Stöcken und überlässt mir gleich seine zum ausprobieren. Nach wenigen „Stockschlägen“ ist mir klar, dass es wirklich eine Hilfe ist. Nächste Woche wird investiert! Überhaupt habe ich nun schon lange keinen Läufer ohne Stöcke mehr auf der Strecke gesehen.
Bergauf geht nach wie vor gut, wenn es nicht zu steil ist. Horizontal geht auch, ich kann aber nicht mehr so stark forcieren, da ich Angst vor Krämpfen habe. Bergab ist eher mühsam. Es macht aber immer noch Spass und ist eine tolle Erfahrung. Riesig ist der Respekt vor den T141 und T201-Teilnehmern. Wir überholen den späteren 2. Platzierten des T201, einen Tschechen. Er fragt uns, ob es noch weitere Steigungen gäbe. Wir sagen, nur noch eine kleine, kein Problem für ihn. (Wir glauben tätsachlich dass die Steigung nicht so doll ist. Wir Narren!) Er sagt, dass er Probleme mit der Atmung hat. Kunststück: Er ist seit 36h unterwegs, hat 180km und über 10’000hm gemacht. Ich wäre froh, wenn ich da nur Probleme mit der Atmung hätte.
Petr Mil, Tschechien / 2. Rang T201 / mit Rind |
Bei einer Alphütte sitzt eine Gruppe und feiert jeden Läufer, welcher vorbeizottelt. Es hat natürlich wenig Zuschauer auf der Strecke. Umso mehr freut es einem, wenn man angefeuert wird! Bei der 10km Tafel mache ich einen Freudenschrei. Das geht noch locker, meine ich. die Freude ist zu früh. Es geht nochmals abwärts und Stefan und Thomas meinen, wir hätten alle Steigungen hinter uns. Ich muss sie leider enttäuschen. So treffen wir irgendwann nach 20:00 bei der letzen Verpflegungsstation Jatz ein. Ich nehme einen Becher Bouillon und zwei Becher Cola. Dazu etwas Brot. Ein Helfer klärt uns über die restliche Strecke auf: Distanz ca. 8km, davon ungefähr eine Stunde berauf bis Strelapass, nachher noch 30 Minuten abwärts bis Davos. Es dunkelt langsam ein und ich muss mein Ziel begraben, den Lauf ohne Stirnlampe zu beenden. Stefan geht als erster los, da er friert. Ich denke ich werde ihn aufwärts wieder überholen, was ich aber nicht mehr schaffe. Irgendwie hat er den Turbo gefunden. Ich gehe vor Thomas, er überholt mich dann, als ich die Stirnlampe und ein langes Shirt montiere. Als er später das selbe macht, bin ich wieder vorne. Nach einem brutal steilen Aufstieg geht es flach durch ein Hochtal. Dort überhole ich Jeannette Odermatt, die Siegerin des T141. Ich gratuliere ihr zu ihrer Leistung, sie ist aber nicht wirklich gesprächig. (Nach 24 Rennstunden schweigen auch die Frauen).
Der Mond steht am Himmel, und ich vor der Strelapass-Wand |
Die Sonne ist untergegangen und wenn ich zurückschaue, sehe ich die Stirnlampen der Läufer hinter mir. Die letzten 300m hoch zum Strelapass haben es nochmals in sich. Da hilft nur noch Geduld. Irgendwann wird es zu Ende sein. Im Aufstieg werde ich von zwei T81 Spitzenläufern überholt (Mann + Frau). Wahnsinn, die fräsen einfach gerade den Berg hoch und ich habe das Gefühl bei mir geht es rückwärts. Dann wird es auf einmal flach und ich habe es geschafft! Strelapass bezwungen! Nur noch abwärts ins Ziel!
Diese Etappe hatte ich total unterschätzt.
Strelapass – Davos / 5km , 788m Abstieg / Zeit geplant: 0:40 / Zeit gelaufen: 0:46
Hier wieder Singletrail-Downhill. Bei Dunkelheit ist das aber mehr Stress als Freude. Ich versuche Gas zu geben, will aber auf keinen Fall stürzen. Bis zur Schatzalp ist es frustrierend, da ich wieder mehrfach überholt werde. Ich habe keine Chance die Tempis mitzugehen, welche die erfahrenen Läufer zustande bringen. Ab Schatzalp laufen wir dann auf einem breiten Wanderweg und ich treffe keine anderen Teilnehmer mehr bis ins Ziel. Um 22:19 Uhr treffe ich dort ein. Es geht mir gut und ich bin sehr zufrieden und habe ein riesen Freude, dass ich es geschafft habe. Das war sicher nicht mein letzter Berg-Trail-Lauf.
Stefan berichtet mir, dass wir tolle Ränge erreicht hätten. Ich habe den 12. Gesamtrang von 63 Klassierten erreicht. In meiner Alteskategorie bin ich sogar 4. (von 28) geworden. Der Rückstand auf den 2. Rang beträgt weniger als 5 Minuten (hätte ich doch Stöcke gehabt).
Das Erlebnis war super und der Erfahrungsgewinn enorm! – Bis zum nächsten Mal!
Super Leistung, Glückwunsch! Und schön beschrieben!