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Wings for Life World Run – No Risk, no Fun!

Wie weit kann ich kommen?
Als ich mich vor vielen Wochen für den Wings for Life World Run angemeldet hatte, sah ich dieses Rennen einfach als gute Trainingsmöglichkeit praktisch vor der Haustüre. Gereizt hatte mich, dass dieses Rennformat mit der „beweglichen Ziellinie“, zum ersten Mal stattfand. Super ist, dass die Einnahmen für einen guten Zweck verwendet werden. Interessant auch, dass der Wettkampf in über 30 Länder weltweit parallel stattfindet.

Durch das Trainingsprogramm, welches ich im Verbund von bluewin.ch, bootcamper.ch und on-running.com absolvieren konnte, hat sich der Fokus vom einfachen Trainingslauf, zu einem für mich ziemlich seriösen Rennen verlagert. Viele Male hatte ich mit dem Distanzrechner auf www.wingsforlifeworldrun.com gespielt. Dabei sind 3 Szenarien rausgekommen:

1.) Ich laufe einen Schnitt von 5:04min/km während 2h07min und schaffe so 25km
2.) Ich laufe einen Schnitt von 5:00min/km während 2h15min und schaffe so 27km
3.) Ich laufe einen Schnitt von 4:50min/km während 2h30min und schaffe es bei 31km über die Holzbrücke in Murgenthal

Szenario 1 hatte ich als offizielles Ziel angekündigt. Obwohl ich noch nie ein solch langen Lauf mit dieser Geschwindigkeit gelaufen war, erachtete ich dies als realistisch und machbar.

An Szenario 2 war eigentlich nur der „runde“ Kilometerschnitt von 5:00 interessant. Bei flachen Ultras versuche ich unter 6:00/km zu bleiben. 5:00 ist eigentlich zu schnell für mich.

Wirklich emotional wurde es bei Szenario 3. Ich habe schon in Murgenthal gewohnt und kenne die altehrwürdige Holzbrücke. Zudem ist das der Punkt, wo man in meinen Heimatkanton Aargau kommt. Also innerlich für mich das absolut reizvollste Ziel! – Nur war ich mir ziemlich sicher, dass ich niemals 2h30min mit einem Schnitt von 4:50/km laufen könnte.

 Mein Zielbogen?

Was also tun? – Ich musste mal rausfinden, wie es sich anfühlt, so schnell zu laufen. Also habe ich mich eine Woche vor dem Wings for Life World Run, für den Aargauer Volkslauf angemeldet. Dort bin ich über die 10km Strecke gestartet. Ziel hier: Unter 50 Minuten finishen. – Das Resultat: 46:44, das heisst ein Schnitt von 4:41/km. Ich kann also so schnell rennen, das Problem war nur, dass ich nach diesen 10km total am Ende war. Insgeheim habe ich aber den Verdacht, dass die Strecke so 300m länger war. Das würde heissen mein Schnitt läge schon Nahe bei 4:30/km und ich hätte eine Marge von immerhin 20 Sekunden pro Kilometer auf meinen „Holzbrücken-Schnitt“. – Wem das jetzt zu viel Mathematik und Spekulation war, dem kann ich nachfühlen. Mir war es nämlich auch langsam zu viel und so habe ich mich auf den Sonntag, 4. Mai gefreut. Der Wings for Life World Run sollte um 12:00 Uhr in Olten starten und dann würden nur noch Beine und Kopf zählen!

Als ich dann am Sonntag morgen in Olten über die Holzbrücke zum Startgelände marschierte, nahm ich mir vor Gas zu geben und wenigstens zu versuchen, nach Murgenthal zu kommen. No Risk, no Fun!

Startvorbereitung
Meine Frau war schon vor mir in Olten, da sie sich als Helferin eingetragen hatte. So musste ich nicht in die Schlange stehen, um die Startnummer zu holen. Sie hatte das für mich bereits erledigt. Der Nachteil an diesem weltweiten und speziellen Rennmodus ist, dass man bereits 30 Minuten vor der Startzeit in die Startbox muss. Man kann sich so nicht gut aufwärmen und pinkeln hätte ich auch schon wieder müssen, durfte die Box aber nicht mehr verlassen. Zum Glück war meine Kollege Markus dabei, da waren die 30 Minuten Wartezeit nicht so langweilig. Dialog zwischen uns:

Markus: „Ich habe gedacht, ich halte mich an dein Tempo und seh mal wie es geht.“
Martin:: „Lustig, ich hab grad gedacht, ich halte mich an dein Tempo.“
Markus: „Okay, eigentlich laufe ich sowieso lieber hinter einer Frau. Die sehen besser aus und laufen gleichmässiger als Männer.“
Martin: „Den Tipp merke ich mir, danke.“ (Und wie mir dieser noch nützlich sein würde)

Kurz vor dem Start genehmige ich mir noch einen salzigen Energie-Gel. Einen zweiten habe ich im Backpack. Ich nehme mir vor, diesen bei km 15 zu vertilgen.

In der Startbox

Das Rennen (bzw. die Jagd)
Anscheinend sind die Läufer auf der ganzen Welt sehr diszipliniert und so wird pünktlich um 12:00 MESZ das Rennen gestartet. Nun haben wir 30 Minuten Zeit, bevor sich die Catcher Cars auf die Verfolgung machen. Die ersten paar 100m sind wie immer nicht so toll in der Meute drin. Markus hält sich definitiv nicht an mich und macht gleich Druck nach vorne. Ich häng mich dran und frage mich, ob das wirklich das richtige Tempo für mich ist. Zum Glück geht es dann gleich ein paar Meter bergab und so kann der Puls mal langsam hochfahren. Der erste Anstieg in die Oltener Altstadt folgt dann auch gleich und das Feld zieht sich langsam in die Länge.

Ich versuche mein Tempo zu finden und Markus im Auge zu behalten. Ich fühle mich gut. Pace ist mit ungefähr 4:45 tiptop. Puls so um 165 ist auch noch im grünen Bereich. Wie lange wird alles so schön sein?

Zwischen Kilometer 2 und 3 glaube ich, die neue Renntaktik von Markus erraten zu haben. So folgt er doch einer hübschen Lady mit markantem „www.brack.ch“-Shirt, welche tatsächlich sehr gleichmässig läuft. Etwas weiter vorne läuft Natascha Badmann und plaudert munter mit ihren Nachbar-Läufern. Alles Friede, Freude, Eierkuchen, allerdings zum Plaudern ist mir bereits jetzt nicht mehr gross.

Die Strecke führt am Flugplatz von Olten vorbei und übers offene Feld Richtung Hägendorf. Von der Bise spürt man nicht viel, da sie hier von hinten kommt und so unterstützend wirkt. Bei km 5 dann die erste Verpflegung. Ich habe eine Trinkflasche dabei und verzichte laufe deshalb am Posten vorbei. Dabei überhole ich Markus und sehe ihn in der Folge nicht mehr. Somit auch meine Renntaktik für den Mülleimer. – Zum Glück erspähe ich so 20m vor mir das brack.ch-T-Shirt. Wie war das nochmal mit den Frauen, welche die besseren Pacemaker sind? – Das wird jetzt getestet!

Meine Garmin Forerunner 610 zeigt immer noch eine Pace in den 4:40er = schön. Den Puls zeigt sie allerdings zwischen 170 und 175 = weniger schön, wie lange geht das gut? – Bis zur 10km Verpflegung in Gunzgen funktioniert es jedenfalls. Dort nehme ich mir einen Becher Wasser und inhaliere prompt die Hälfte durch die Nase. (Manche Leute bleiben einfach besser das ganze Leben beim Schoppen). Die Zeit bei 10km mit ungefähr 47 Minuten ist sehr gut. Dass dies jetzt noch zwei Mal so wiederholt werden soll bis Murgenthal, kann ich mir aber immer noch nicht so recht vorstellen.

Sobald die Strecke nicht mehr Richtung Südwesten führt, macht sich die mässige Bise deutlich bemerkbar. Es wird kühl und das laufen wird mühsamer. Bei km11 kommt ein Bergabstück, welches unter der Autobahn A1 durchführt. Ich lasse es laufen und schaffe es dadurch, auf meine Pacemakerin aufzulaufen. Jetzt bin ich dran und will auch dranbleiben. Ich stelle auf „Tunnelblick“ und konzentriere mich nur noch auf die Turnschuhe vor mir. Ich laufe nicht gerne so, aber heute muss das einfach sein. Pace super 4:45 / Puls teilweise schon bei 180. Wie lange funktioniert das? Atmen geht aber erstaunlich gut und bei km15 bringe ich sogar den Gel runter.

Soweit also alles im Rahmen. Körper und Geist auf Status „orange“. Pace gemäss Szenario 3. – Doch dann bei km18 kurz vor Neuendorf eine unerwartete Überraschung:

Unbekannte Läuferin von hinten: „Hallo Martin. Hey super läufts Du. Gratuliere!“

Martin: „Hallo, …..(schnauf – schnauf -schnauf) …. äh äh äh“

Unbekannte Läuferin zieht Sonnenbrille und Mütze ab, Martin schaut und überlegt (schnauf-schnauf-schnauf), kurz bevor sie die Identitätskarte hervorkramt, erreicht ein kleines Sauerstoff-Molekül das Hirn von Martin und die Erkenntnis explodiert: „Hallo, … (schnauf – schnauf -schnauf), Gesa!“

Gesa zu brack.ch-Pacemakerin: „Du hast einen superschönen Laufstil“ (Martin denkt: „Das stimmt“)

brack.ch-Pacemakerin: „Wirklich? Danke vielmals! (Martin denkt: „Irgendwas läuft hier falsch. Ich lauf am Anschlag und die machen Smalltalk“)

Martin: „Gesa, wie weit willst Du heute kommen?“

Gesa: „Ich hab gedacht so 21km. Und Du?“

Martin: „Ich hab mal gesagt 25km. Toll wäre aber bis zur Holzbrücke in Murgenthal, das wären dann so 31km.“

brack.ch-Pacemakerin: „Kann ich bei dir anhängen?“

Martin: „Nein, weil ich häng schon seit Kilometern bei dir dran.“

Zum Glück kommt eine kleine Steigung und das Getratsche hat ein Ende! 🙂

Bei der nächsten Verpflegung fällt Gesa wieder zurück und wird schlussendlich bei gut 28km vom Catcher Car eingeholt werden. Ich überlege mir inzwischen, was ich nächste Woche bei Brack bestellen könnte. Irgendwie muss ich ja etwas zurückgeben können. Dann ein Höhepunkt. Halbmarathon-Distanz nach 1:40 Laufzeit. So schnell war ich noch nie!

Nach 2h und rund 24km, haben wir den westlichsten Punkt der Strecke erreicht. Nun geht es zurück an die Aare und ich kenne die Gegend hier. Der Puls nun konstant bei 180 +/- 2 Schläge. Der Endkampf beginnt!

Nächster Höhepunkt ist die 25km-Marke. Mein „Minimal-Ziel“ ist erreicht. Diese Mission erfüllt. – In einem Anflug von Euphorie bin ich wieder am Verpflegungsposten vorbeigelaufen und habe dabei meine Pacemakerin hinter mir gelassen. Es geht aber nicht lange und sie überholt mich locker wieder. Die Frau zieht ihr Ding einfach durch! Beeindruckend!

Nun gegen die Bise in Richtung Wolfwil. Es geht flach und entlang der Aare ist es auch landschaftlich schön. Die Anfeuerungsrufe der Zuschauer werden nun immer wertvoller. Dann eingangs Wolfwil die letzte Steigung. Ich beisse mich hoch und bleibe dran. Ich weiss, dass mich oben nur noch 2 flache Kilometer und ein kurzer Downhill von der Holzbrücke trennen. – Leider sind meine Körner durch, mein Puls bei 185 und mein Wille gebrochen. (Und pinkeln muss ich immer noch!) – So entschwindet das mittlerweile so gewohnte www.brack.ch-Shirt und ich fühle mich trotz vielen Zuschauern ziemlich alleine.

In solchen Situationen besinnt man sich wieder auf seine Grundbedürfnisse. Da hilft der 30km-Verpflegungsposten direkt vor meiner Nase weiter. Ich marschiere gemütlich durch und gönne mir zwei Becher Wasser. Dann falle ich in meinen Ultra-Marathon-Trott und setze mir als nächstes Ziel die nächste Waldecke, wo ich die längst überfällige Pinkelpause machen will. (Wenn ich schon so jung in den Shuttlebus muss, dann wenigstens mit leerer Blase!) Die Waldecke bringt dann auch tatsächlich Erleichterung und das Leben sieht schon wieder freundlicher aus.

Jetzt kommt der Teil des Rennens, welchen ich mir vorher nur schwer vorstellen konnte. Hinten sehe und höre ich nun den Catcher Car. Ich habe mich im Vorfeld immer gefragt, wie ich dann reagieren würde. Panik? Energieschub? Fühlt man sich gejagt? – Das vorderste Begleitfahrrad überholt. Der Fahrer motiviert: „Los, bald geht es abwärts zur Brücke!“ – Genau! Es ist noch nichts verloren. Ich kann es immer noch schaffen, aber nur wenn ich es probiere!

Ich zwinge mich, nicht nach hinten zu schauen. Ich höre dennoch, wie das Ungetüm näher kommt. Ich weiss, wenn ich es über das Flachstück schaffe, schaffe ich es auch noch über die Brücke. Teilweise werde ich von anderen Läufern übersprintet, teilweise überhole ich. Puls und Pace sind mir jetzt egal. (Später zeigt sich: Im Endspurt bergab erreiche ich  kurfristig einen 3:00km-Schnitt bei Puls 190) – Ich erreiche die Kante und sprinte zur Brücke runter. Am Ende der Holzbrücke ist das Rennen für mich gelaufen. Punktlandung!!! Ich beginne zu marschieren und werde Sekunden später vom Catcher Car eliminiert. Offizielle Distanz 30.81km.

Der Shuttle-Bus wartet 200m weiter vorne. Meine Pacemakerin ist ebenfalls dort. Ich gratuliere ihr und hoffentlich habe ich ihr auch für die Hilfe gedankt. Auf der Rückfahrt nach Olten geht das sms schreiben los und auch Facebook will bedient sein. Zur Feier des Tages genehmige ich mir ein Red Bull. Die Stimmung im Bus ist toll und aufgeregt. Dieser Rennmodus hat seine Feuerprobe bestanden.

In Olten eine kurze und kalte Dusche. Ich treffe Markus an, welcher 21.6km gelaufen ist. Wir fahren zurück nach Hause, wo ich im Livestream die Endphase des Rennens schaue. Toll, wenn man eben noch selber mitgelaufen ist!

Fazit
Der erste Wings for Life World Run war eine super Erfahrung und ein toller Erfolg für mich. Es ist schlussendlich alles aufgegangen und ich konnte mein Optimal-Ziel erreichen! – Hiermit danke ich allen Unterstützern, welche in verschiedenen Formen zum Erfolg beigetragen haben!

Lessons learned
– Ich kann auch in einem Pulsbereich zwischen 170 und 180 Schlägen über eine mittlere Zeitdauer laufen. Dies bringt zwar für Ultrarennen nicht viel. Ich habe aber ein besseres Körpergefühl entwickelt und Vertrauen gewonnen.

-Die getesteten Zehensocken haben sich bewährt. Ich hatte keine Blasen oä. Der rechte kleine Zeh hat geblutet. Wahrscheinlich da der Nagel nicht sauber gekürzt war.

-Das Orange Mud-Backpack hat sich tiptop bewährt. Stört sehr wenig beim laufen, ist praktisch in der Handhabung.

-Der Powerbar-Gel mit Sodium-Zusatz hat gut funktioniert. Ich hatte keine Probleme bezüglich Verträglichkeit und keinerlei Krampferscheinungen.

-Das „Risiko“, von Beginn weg das Tempo zu forcieren, hat sich hier ausbezahlt. Für längere Distanzen mit vielen Höhenmetern muss ich aber mit Reserven laufen.

See you next year in Olten!

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