Vorgeschichte
Als im letzten Jahr bekannt wurde, dass am 1. Mai 2016 der erste Aargauer Marathon von Aarau nach Brugg stattfinden würde, reizte mich dieser Lauf nicht besonders. Irgendwie waren dann aber auf einmal die Termine für die anderen April/Mai-Rennen blockiert und so habe ich mich doch entschlossen, an dieser Premiere teil zu nehmen.
Meine Vorbereitung war alles andere als ideal. Irgendwie bin ich dieses Jahr noch nicht richtig in einen Trainings-Rhythmus gekommen. Meine längste Strecke sind 20km am letzten Samstag (vor dem Frühstück). Ich kämpfe zudem mit einem eingewachsenen Zehennagel, welchen ich wahrscheinlich nun doch bald mal einem Arzt zeigen sollte. Insgesamt passt mein körperlicher Zustand also gut zur Wetterprognose, welche auch sehr trist ist.
Ich sehe den Aargau Marathon einfach als einen langen Trainingslauf. Ziel ist wie immer beim Marathon, eine Zeit unter 4 Stunden. Das ist normalerweise kein Problem, diesmal könnte es aber echt eine Herausforderung werden.
Sensationellerweise kann ich wieder vom All-inclusive-Service von „Wicki’s Marathon-Reisen“ profitieren. Gertrud und Pius bieten mir nicht nur den Shuttle-Service Schöftland-Aarau / Brugg-Schöftland an, sondern liefern mir am Samstag auch gleich noch die Startnummer in den Milchkasten. Herzlichen Dank für all das!!!
Die Packerei ist bei der Wetter- und Logistik-Situation nicht ganz einfach. Ich entscheide mich den kleinen Trinkflaschen-Rucksack mitzunehmen. Dort kann ich die Regenjacke und das Handy reinstecken. Zudem zwei Energie-Gels und eine Trinkflasche, damit ich etwas flexibler bei der Verpflegung bin. Bevor ich ins Bett gehe, kümmere ich mich nochmals um meinen linken grossen Zeh. Als ich dran rumdrücke, beginnt es plötzlich zu bluten und will nicht mehr stoppen. Ich lege einen Verband drum und gehe ins Bett. Der Zeh schmerzt und ich habe eine unruhige Nacht. Kann/soll ich damit wirklich starten? Am Morgen nehme ich den Verband weg und reisse die Wunde wieder auf. Es blutet wieder. Ein Start rückt in Ferne.
Es ist 6:45 Uhr und ich bin niedergeschlagen. Ich überlege, wie ich Pius Wicki informieren soll (sms oder Anruf), wie ich meinen Transponder wieder abgeben kann (vorbeibringen oder zurückschicken) und wie ich den Tag verbringen soll (ins Büro fahren oder zu Hause rumheulen). – Da ich den Anruf an Pius nicht übers Herz bringe, entschliesse ich mich, doch einen Versuch zu wagen. Zum Arzt muss ich nächste Woche eh, da kann ich das Ding ja vorher noch ganz kaputt machen. – Also anziehen, essen, packen und los.
In Aarau brauchen wir lange, bis wir den Bus für die Abgabe des Läufergepäcks finden. Pius geht noch einlaufen und ich schlage mir die Zeit bis kurz vor dem Start mit Priska Müller um Ohren, welche heute ihren ersten Marathon läuft. Dann nochmals kurz aufs WC und nachher in den Startblock (3:45 – 4:10) einstehen. Pius steht einen Block vorne dran, Priska einen weiter hinten. Ich sehe ein paar Meter vor mir Martin Zwahlen. Ich muss lachen, da wir beide anscheinend die einzigen sind, welche einen Laufrucksack mittragen. Typische Krankheit von Ultra-Trail-Läufern.
Kilometer 0 bis 14
Ich versuche es gemütlich anzugehen und Energie zu sparen. Ich kann die Steigungen nicht richtig einschätzen und habe etwas Respekt davor. Kurz nach dem Start habe ich das Gefühl, meine linke Wade möchte sich bereits verkrampfen. Die Befürchtung, dass dies mit einer Kompensation wegen meinem Zeh zusammenhängen könnte, bestätigt sich dann glücklicherweise nicht. Die Wetterbedingungen sind viel besser, als ich erwartet hatte. Es regnet zwar leicht, hat aber keinen Wind und die Temperaturen sind auch in Ordnung. Eigentlich ideal.
Es hat auch in der Stadt nicht wahnsinnig viel Leute an der Strecke. Ein Unterhaltungsprogramm mit Musikbands etc. wird bei dieser eher kleinen Veranstaltung auch nicht geboten. Da geht es in Zürich oder Luzern deutlich spektakulärer zu. Wir sind ja aber zu laufen hier und das ist auch kein Stadtmarathon. Nach rund 3km kommen wir dann auf die Naturwege entlang der Aare. Michael aus Horgen spricht mich an. Er kennt mich von den Laufberichten. Er will im Juni die 100km von Biel laufen und ist so auf meinen Blog gestossen. Ich finde das lustig, dass ich während dem Lauf erkannt werde. Vielleicht wäre es doch mal Zeit für neue Laufbekleidung.
Mit Michael und seinem Kollegen laufe ich dann gut zwei Kilometer. Wir sind aber zu schnell für mich unterwegs und ich lasse die beiden ziehen. Ich muss auf meinen Puls schauen, welchen ich um 160 halten will. Tempomässig bin ich die ersten 5km auch etwas zu schnell gelaufen. Ich nehme bewusst etwas Tempo raus und werde dann prompt am Laufmeter überholt. Bei Rupperswil ist die erste Wechselzone und eine Verpflegung. Ich laufe durch, weil ich genügend Wasser dabei habe. Vor Wildegg ist dann der erste Viertel geschafft. Zeit und Puls passen und ich fühle mich soweit gut. Den Zeh spüre ich nicht. Ich bin im Rennen angekommen.
In Wildegg kommen wir dann zum ersten Mal auf die Strasse. Die Strassen müssen für uns Läufer teilweise gesperrt werden und das gibt dann Kolonnen. Nicht alle Autofahrer finden das so lustig. Sollen sie halt selber laufen, dann haben sie Vortritt. Nun kommt die erste Steigung hoch nach Möriken. Ich versuche auch diese dizipliniert zu laufen und den Puls nicht in die 180er explodieren zu lassen. Das wird mir bis ins Ziel gelingen. Ich bin dauernd am rechnen und kurz nach Möriken ist dann das erste Drittel geschafft. Alles soweit noch in Ordnung. Aber die hatten doch etwas von einem Aufstieg nach Othmarsingen gesagt, oder?
Kilometer 14 bis 28
Ich bin etwas überrascht, als ich mit „Hopp Martin“ angefeuert werde. Es ist die Langlauf-Koryphäe Stefan Ochsner, welcher da am Streckenrand steht. Direkt danach geht es dann in die Steigung hoch nach Othmarsingen. Die sieht lange aus und ich würde gerne marschieren. Aber da Stefan direkt untendran steht, finde ich das marschieren zu peinlich. Oben dann die nächste Verpflegung und ich schnappe mir einen Energie-Gel, welcher angeboten wird. Die Tüte ist schon geöffnet und die Hälfte des Gels schon ausgelaufen. Eine Sauerei und meine Hände bleiben bis ins Ziel kleberig.
Immerhin geht es nun bis Birrhard wieder leicht abwärts. Wir kommen zum ersten Mal an die Autobahn. Ich beobachte, dort gerade ein geschrotteter Porsche aufgeladen wird. Später zu Hause lese ich, dass dies das Resultat einer Sonntagmorgen-Fahrt in angetrunkenem Zustand war. Auch eine Möglichkeit für einen Sonntagsausflug. Dann unter der Autobahn durch und rüber Richtung Mellingen. Die Positionen sind momentan ziemlich bezogen und es gibt wenig Überholmanöver.
Leider gibt es kein Schild für die Halbmarathon-Distanz. Gemäss meiner GPS-Uhr bin ich aber genau auf Kurs für einen Finish ein paar Minuten unter 4 Stunden. Ich erwarte die zweite Streckenhälfte als etwas leichter und bin zuversichtlich, dass ich mein Ziel erreichen kann. Also runter nach Mellingen und dann wieder hoch nach Rütihof. Auch hier renne ich die Steigung noch. Etwa bei Kilometer 24 werde ich dann wieder mal angesprochen. Diesmal ist es Dani Binggeli, ehemaliger Faustball-Mittelmann von Niederlenz. Gegen ihn hatte ich vor etwa 24 Jahren immer diverse Faustball-Spiele absolviert. Man trifft sich immer zweimal im Leben!
Mittlerweile werden wir regelmässig von den Teamläufern überholt. Diese sind 30 Minuten nach uns gestartet, da sie sich die Strecke aber auf 2 oder 4 Läufer aufteilen, sind sie natürlich einiges schneller. Vor Birmenstorf geht es auf der neuen Brücke über die Autobahn. Die alte wurde ja vor einiger Zeit von einem Lastwagen schwer beschädigt. Ich bin hier ziemlich alleine unterwegs und habe auch das zweite Drittel hinter mich gebracht. Ich überhole einen mit Magenproblemen marschierenden Läufer. Bei mir soweit alles in Ordnung. Allerdings bin ich mir sicher, dass dieser Marathon Muskelkater hinterlassen wird. Die Muskulatur ist heute leicht überfordert.
Kilometer 28 bis 42.2
Es geht wieder hinunter an die Reuss und nachher hoch nach Mülligen. Dieser Aufstieg ist mir nun zu giftig und ich marschiere. Der Puls bleibt auch so über 170. Weiter vorne sehe ich Martin Zwahlen. Er bewältigt die Steigung noch im Laufschritt. Nach einem kurzen Flachstück kommt dann nochmals ein Anstieg durch ein Wäldchen hoch ins Birrfeld. Hier marschiert nun auch Martin Zwahlen. Bei mir steigt der Puls trotz Marschschritt auf 180 Schläge. Was will ich da noch rennen?
Ab jetzt geht es nur noch flach und abwärts. Noch 12km, das ist zu schaffen. Gemäss Hochrechnung reicht es immer noch für unter 4h. Allerdings recht knapp. Ich laufe auf Martin auf und wir erzählen uns die nächsten zwei Kilometer unsere Ausreden, wieso wir so schlecht in Form sind. Unterbrochen werden wir dann vom ohrenbetäubenden Autobahnlärm in der Unterführung bei Lupfig. Aus meiner Sicht die schlimmsten 100m der Strecke. Kurz danach geht es wieder von der Autobahn weg und die Strecke führt über Scherz nach Schinznach-Bad. Ich laufe wieder alleine und bin froh, dass die restlichen Kilometer nur noch einstellig sind.
In Schinznach ist niemand am Golf spielen und wir müssen uns keine Sorgen machen, von einem Ball abgeschossen zu werden. Es geht nun in teilweise steilen Abstiegen runter zur Aare. Die Abstiege machen nicht so Spass, da meine Oberschenkel ziemlich ausgeschossen sind. Meine Gedanken wandern zurück zum 24h Lauf letzten September in Brugg. Der fand direkt neben dem heutigen Zielgelände statt. Ich habe gute Erinnerungen und freue mich deshalb, bald wieder dort zu sein. Die restliche Distanz rechne ich deshalb in die 900m-Runden vom 24h Lauf um: „Nur noch 6 Runden, nur noch 5, 4 … .“
Entlang der Aare geht es leichter, da die Landschaft einfach schön ist. Ich bin aber froh, als wir bei Kilometer 40 in Brugg ankommen. Heute gibt es bei mir keinen Endspurt. Ich werde einfach gleichmässig bis ins Ziel trotten. Einige Läufer mit Reserven überholen mich hier noch. Ist mir heute egal. Erst jetzt macht sich mein linker Zeh bemerkbar. Es sticht ein paar Mal, genau so wie eine Blase aufplatzen würde. Mir nun auch egal. Ich bin bald im Ziel und zum Arzt muss ich nächste Woche eh!
Dann die letzten 200m. Kein Endspurt, einfach einlaufen. Ich freue mich und bin nach 3:55:58 im Ziel. Harter Trainingslauf über 42.2km erfolgreich unter 4h erledigt!
Was nachher geschah!
Pius Wicki stand bei meinem Zieleinlauf bereits unter der Dusche. Er hatte das Ding in 3:39 gerockt und erreichte den zweiten Platz in seiner Alterskategorie. Mein Trost: Ich habe noch 24 Jahr Zeit, um so schnell zu werden wie Pius!
Martin Zwahlen läuft eine Minute hinter mir ein. Auch er wird am Montag Muskelkater haben und auch er freut sich auf die Ultratrails im Sommer, wenn es ruhiger zur Sache geht.
Priska Müller läuft bei ihrer Premiere nach 4:18 ein. Super Leistung! – Zudem sieht sie auf allen Fotos zufrieden und entspannt aus. (Während meine nur peinlich und nicht für den Bericht zu gebrauchen sind.)
Die spannende Frage aber zum Schluss: Wie hat mein Zeh die Sache überstanden?
Überraschung in der Garderobe. Das Ding sieht genau so aus wie am Morgen. Auf jeden Fall nicht schlimmer. Es stellt sich dann heraus, dass der Lauf anscheinend sogar gut getan hat. Am Montag Abend ist die Entzündung abgeklungen. Am Dienstag verschreibt der Arzt nur noch eine Salbe. Das Skalpell nimmt er gar nicht erst zur Hand.
Fazit
Ich bin einfach viel zu wenig gelaufen in den letzten Wochen, um hier etwas zu reissen. Andererseits habe ich aber das mögliche und sinnvolle aus dem Rennen gemacht. Ich konnte sehr gleichmässig durchlaufen und relativ problemlos das Ziel erreichen. – Es wäre jammerschade gewesen, hätte ich auf den Start verzichtet!
Hallo Martin,
die Bilder von Priska entschädigen für die nicht gestellten Bilder von Dir 🙂
hau rein
Bernd
Hallo Bernd
Klar sind die Bilder von Priska besser. – Erfreulich ist vor allem auch, dass ihr erster Marathon eine sehr positive und spassige Erfahrung für sie war.
Herzliche Grüsse
Martin
Hallo Martin
Mein 1. Marathon ein voller Erfolg 🙂
In deinem amüsanten Laufbericht mit so viel Lob und Ehre erwähnt (in Wort und Bild) zu werden… was will man mehr.
Ich freue mich jetzt schon auf eine neue Herausforderung und weitere Berichte von dir.
Herzliche Grüsse
Priska
Hoi Priska
Danke für die Bilder! – Mit meinen Fotos wäre der Bericht ziemlich unansehlich geworden. 🙂
So wie Du den Marathon gelaufen bist, soll es aussehen. Mit Spass und Freude, statt Biss und Kampf!
Herzliche Grüsse
Martin