Vorgeschichte
Vor zwei Jahren war der Trail d’Absinthe mein erster richtiger Ultratrail-Lauf (Laufbericht 2014). Ich war damals von der tollen Landschaft begeistert. So habe ich mich gefreut, dieses Jahr wieder ins Val der Travers zurück zu kehren. Oliver Stupp hat sich spontan bereit erklärt, mich zu begleiten. Dies hat den tollen Nebeneffekt, dass ich in seinem Camping-Bus übernachten kann und die frühe Anreise am Morgen entfällt. So reisen wir also am Freitag Abend nach Couvet. Statt im Sonnenaufgang wie 2014, begrüsst uns der Creux du Van diesmal mit einem Regenschauer.
Um 20:15 Uhr parkieren wir direkt neben dem Sportcenter in Couvet. Wir holen unseren Starterbag und essen Pasta. Dann richten wir es uns im Bus gemütlich ein und treffen die Vorbereitungen für den nächsten Morgen. Das Wetter ist immer noch veränderlich und ab und zu regnet es. Für den Samstag ist ebenfalls vereinzelt Regen angesagt. Insgesamt sollen die Bedingungen aber gut sein. Ich bin gespannt, in welchem Zustand die Strecke sein wird, nach den intensiven Regenfällen der letzten Tage. Nach 22:00 Uhr schlüpfen wir dann in die Schlafsäcke und machen Nachtruhe.
Tagwache ist um 5:45 Uhr. Oli kocht Kaffee und ich verdrücke zwei Brötchen und eine Banane. Dann den Rucksack fertig packen, Livetracker einschalten, Zeitmess-Chip am Fuss montieren und die Tasche für nach dem Zieleinlauf abgeben. Der Start ist für 7:15 Uhr angesagt. Vor dem Start ist noch eine Kontrolle der Pflichtausrüstung beim Eintritt zur Startbox angekündigt. So lasse ich die Ausrüstung um 7:00 Uhr kontrollieren und stelle mich in die Startbox. Allerdings kommt dann eine fette Regenwolke und lässt einen Platzregen los. Ich verlasse die Startbox nochmals und stelle mich im nahen Festzelt unter. Der Regen ist dann nach wenigen Minuten vorbei und einem pünktlichen Start bei trockenen Bedingungen steht nichts im Wege. Oli kommt praktisch in der letzten Minute an den Start. Er hatte den Zeitmess-Chip im Bus vergessen und musste diesen noch holen. Das war das letzte Mal heute, dass ich vor Oli lag!
Couvet – Creux du Van
Die ersten gut 8 km verlaufen flach im Tal. Ich bin mir über meinen Formstand nicht richtig im Klaren, gehe aber davon aus, dass ich die Zeit vom letzten Mal (9:54h) wieder erreichen kann. Vor zwei Jahren hatte ich auf der zweiten Streckenhälfte Probleme mit Krämpfen. Das sollte ich diesmal vermeiden können. Meine Taktik ist, bis zur Hälfte (Chasseron) nicht zu forcieren und dafür auf der zweiten Hälfte nicht einzubrechen sondern eine gleichmässige Pace halten zu können. Ich habe mir keine Marschtabelle vorbereitet und orientiere mich vor allem an der Herzfrequenz. Es hat viele Pfützen auf den Naturwegen, denen kann man aber gut ausweichen. In Noiraigue dann die erste Verpflegung, dann beginnt der gut 700m Aufstieg zum Creux du Van bzw. Le Soliat.
Ich überhole im Aufstieg meinen ehemaligen Berufsschul-Kollegen Arsène Perroud. Er bereitet sich ebenfalls auf den Eiger Ultra Trail E101 vor und wir werden uns also spätestens in Grindelwald wieder treffen. Mein Puls pendelt sich leicht unter 170 Schlägen ein. Das Feld ist gemischt aus Läufern der Marathon-Distanz (meist ohne Rucksack) und den Ultra-Läufern. Ein anfangs noch breiter Forstweg wird immer schmaler und schlussendlich zum Single-Trail. Wir kommen dann in eine Nebelschicht und ich habe das Gefühl, ich bin irgendwo im Regenwald. Die Stimmung erinnert an „Gorillas im Nebel“.
Dann lichtet sich der Wald und wir sind beim Creux du Van angekommen. Ich genehmige mir einen Energie-Gel und zwei Becher Bouillon am Verpflegungsposten.
Creux du Van – Chasseron
Wettertechnisch ist bis jetzt alles in Ordnung. Die Regenjacke kann im Rucksack bleiben. Ich laufe mit kurzen Hosen und Langarm-Shirt, wobei ich die Ärmel meist nach hinten gekrempelt habe. Es geht weiter entlang dem Creux du Van hoch bis zum Le Soliat. Aussicht heute: Fehlanzeige!
Vom Soliat geht es nun über rund 13km wieder runter bis ins Tal. Dies über Wiesen, Forststrassen und auf Single-Trails durch Tobel. Die Wiesen sind sehr nass und der Weg wird deshalb rasch schlammig und rutschig. Alle 5km steht eine Distanztafel. Ich rechne mir dann jeweils meinen Fortschritt aus und stelle fest, dass ich genau auf einem 10h-Finish unterwegs bin. Das würde ja passen. Mit etwas Sonne würde die tolle Landschaft natürlich viel besser zur Geltung kommen. Es gibt aber auch so sehr schöne Plätze zu entdecken. Wie zum Beispiel ein Wasserfall oberhalb von Motiers.
Dann ist das erste Drittel der Strecke geschafft und bei Carrière à Motiers erfolgt der Wechsel von Downhill- in Uphill-Modus. Der zweite grosse Aufstieg von rund 800m rauf zum Chasseron steht auf dem Programm. Bald zweigt die Marathon-Strecke ab und wir Ultra-Läufer sind alleine unterwegs. Die Abstände zwischen den Läufern sind gross und so ist man meist alleine.
Die Strecken durch die Juraschluchten sind einfach sensationell und eindrücklich. Ich geniesse den Lauf und die Natur. Zwischendurch denke ich an die weiteren Rennen, welche dieses Jahr noch anstehen. Der Eiger Ultra in einem Monat wird ungefähr 20 Stunden dauern, also doppelt so lange wie heute. Und der Ultra Trail Mont Blanc im August wird um die 40 Stunden, wenn nicht sogar länger dauern. Also Faktor 4 zu heute. Da mache ich mir schon ein paar Gedanken, ob das auch gut kommt. – Grübeln bringt aber nichts. Deshalb auf den Moment konzentrieren und stetig vorwärts gehen.
Ich freue mich auf den Chasseron und hoffe, dass es etwas sichtiger wird, bevor ich da oben bin. Über die Juraweiden bleibt es nahrhaft, da es einfach überall schmierig ist. Ich komme aber stetig vorwärts und bin guten Mutes. Zwischendurch fallen ein paar Tropfen Regen. Ich lasse aber die Jacke im Rucksack, denn die Temperaturen sind angenehm und ich friere auch bei Regen nicht.
Bergauf kann ich ein paar Läufer überholen. Ich habe einen guten Rhythmus gefunden und habe nicht das Gefühl, dass ich mich total verausgaben. Ich esse regelmässig Gels und trinke bei den Verpflegungsposten immer ein oder zwei Becher Bouillon. Mein rechter Oberschenkelmuskel hinten zwickt leicht, echte Probleme habe ich aber nicht. Meine Hoffnung auf eine gute Aussicht auf dem Chasseron geht nicht in Erfüllung. Es ist und bleibt neblig.
Die Hälfte der Strecke ist nun geschafft. Bei den Höhenmetern sind es schon fast zwei Drittel. Ich habe ziemlich genau 5 Stunden gebraucht und glaube immer noch, dass ein Finish unter 10 Stunden möglich ist. Ab nun laufen die Kilometer rückwärts. Dann kommt der Chasseron-Gipfel in Sicht. Die dort platzierte Panorama-Tafel kann ich getrost links liegen lassen. Mit knapper Not ist unten ein Stück des Neuenburgersees auszumachen. Die Helfer beim Verpflegungsposten haben sich warm angezogen. Die Läufer versuchen die Pause kurz zu halten, denn hier zieht es und man kühlt rasch aus.
Chasseron – Chapeau Napoléon
Jetzt folgt der steile Downhill über Juraweiden. Vor dem Start wurde gewarnt, dass es hier sehr glitschig und entsprechend gefährlich sei. Und so ist es dann auch. Ich kann drei Läufer vor mir beobachten, welche sich ohne Stöcke versuchen auf den Beinen zu halten. Im Dreck sind die Rutschspuren der vorhergehenden Läufer deutlich zu erkennen. Ich bin froh um meine Stöcke, damit kann man sich wenigstens etwas besser gegen die Schwerkraft wehren. Also Spass macht das hier nicht wirklich.
Der Schlamm wird ab hier zum grössten Gegner für den Rest des Rennens. Es ist ziemlich zermürbend, wenn man auf eigentlich gut laufbaren Trails unterwegs ist, diese aber so rutschig sind, dass man einfach nicht richtig vorwärts kommt. Ich betrachte die Situation als gute Übung um die Psyche zu stärken und versuche geduldig zu bleiben. Ich kann immer noch unter 10 Stunden ins Ziel kommen.
In den Wäldern nach Noirvaux hatte ich mir letztes Mal einen Oberschenkel-Krampf eingefangen. Ich glaube die Stelle wiederzuerkennen und mache dort zum Gedenken einen Pinkelstopp. Dieses mal habe ich keine körperlichen Beschwerden und bin deshalb zuversichtlich, dass ich ab hier schneller sein müsste als 2014. Bis ins Ziel hat es keine grossen Steigungen oder Downhills mehr. Dafür wechseln sich kürzere Auf- und Abstiege dauernd ab. Die Postionen sind jetzt ziemlich bezogen und obwohl ich immer alleine laufe, sind doch ständig etwa die gleichen Läufer um mich rum. Urs ist Deutschschweizer und ist in den Downhills schneller als ich. Bereits am Creux du Van ist er mir zum ersten Mal aufgefallen und schlussendlich läuft er so zwei Minuten nach mir im Ziel ein. Oder ein anderer Läufer, welcher läuferisch stärker als ich ist. Da bei den Verpflegungsposten seine Familie jeweils auf ihn wartet, bleibt er dort länger stehen.
So zwischen Kilometer 50 und 55 erlebe ich dann die psychisch schwierigste Phase. Klar, zwei Drittel der Strecke sind vorbei. Ich merke aber, dass es mit dem 10h-Finish wahrscheinlich nichts wird, da in diesem Schlamm einfach kein Tempo zu machen ist. Klar sind es nur noch gut 20km, also ein Halbmarathon. Auf einer flachen Asphalt-Strasse eine Sache unter zwei Stunden. Auf dreckigen Juraweiden sieht die Sache deutlich anders aus.
So lange die Marathon-Läufer mit auf der Strecke waren, waren auch die Verpflegungen recht streng platziert. Im zweiten Teil sind die Abstände zwischen den Posten dann deutlich grösser. Ich versuche trotzdem genügend zu essen um nicht in eine Energieloch zu fallen. Die Gel’s gehen zwar nicht mehr so einfach runter und ich muss mich etwas zwingen. Ich weiss aber aus Erfahrung, welche Leistungsschwankungen es gibt, wenn die Energie fehlt. In Chapeau de Napoléon oberhalb von Fleurier ist dann wieder ein lang ersehnter Verpflegungsposten.
Chapeau Napoléon – Couvet
Nach Chapeau de Napoléon dann eine tolle Asphalt-Strasse leicht abwärts. Endlich wieder mal Gas geben. Zudem passiere ich hier die 60km-Tafel. Noch 15km. Noch gut zwei Stunden. Das geht jetzt auch noch. Ob unter oder über 10 Stunden ist mir jetzt egal. Einfach fertig laufen und dann unter die Dusche.
Da ich die Strecke vorher nicht genau studiert hatte gibt es immer wieder Überraschungen für mich. So wie der Tunnel unter einer Eisenbahnlinie bei St. Sulpice. Die Strecke des Trail d’Absinthe ist wirklich abwechlungsreich.
Erfreulicherweise geht es mir körperlich immer noch prima. Die flachen Strecken kann ich immer noch problemlos laufen, sofern sie laufbar sind. Den grossen Zeh rechts spüre ich zwischendurch etwas, ansonsten aber gar keine Probleme mit den Füssen. Ich frage mich, ob Oli wohl schon im Ziel und unter der Dusche ist. Hoffentlich wartet er mit der Heimfahrt, bis auch ich da bin.
Ich freue mich über jeden „festen“ Meter Strecke unter meinen Füssen und von den anderen lasse ich mich nicht mehr stressen. Ändern kann ich ja doch nichts dran.
Dann brechen die letzten 5 Kilometer an. Ab hier ist jeder Kilometer markiert. Vier Kilometer vor Schluss die letzte Verpflegung. Ich nehme nur einen Becher Cola und laufe gleich weiter. Dann die letzte kurze Steigung. Dann der letzte steile Downhill. – Nun bin ich topfit. So gut wie jetzt ging es mir im ganzen Rennen nie. Im Downhill kann ich noch einige Läufer überholen. Einige kämpfen anscheinend mit Krämpfen. Meine Muskulatur ist noch fit und ich kann voll attackieren. Die letzten 1.7km sind dann auf einer Teerstrasse leicht abwärts. Sozusagen ein Dessert.
Oli ist schon über eine Stunde im Ziel, als ich nach 10:23h einlaufe. Ich bin zwar 30 Minuten langsamer als 2014, aber trotzdem zufrieden. Sofort unter die Dusche und dann ab nach Hause zu Frau und Kindern.
Fazit
Der Trail d’Absinthe ist ein wunderschöner Lauf. Bei schönem Wetter und trockenen Bedingungen kommt dies natürlich viel besser zur Geltung.
Bei mir hat soweit alles funktioniert. Ausrüstung, Ernährung und Renneinteilung haben gepasst. Was mir sicher momentan fehlt ist der Trainingsumfang und somit die Form. Bei 75km und 2950Hm spielt das nicht so eine Rolle. Für den Ultra Trail Mont Blanc (UTMB) muss da aber mehr Substanz vorhanden sein. Trainigsmässig bin ich also noch gefordert.
Mental war es eine gute Übung, da beim UTMB viel Geduld gefordert sein wird. Diese war hier wegen den schwierigen Bedingungen auch notwendig.
Als nächstes steht nun der Eiger Ultra E101 an. Das ist dann die Hauptprobe im alpinen Gelände für den UTMB. Bis dahin werde ich wohl vor allem noch Höhenmeter auf dem 1000er-Stägeli sammeln.
Hoi Martin, toller Bericht und ja die zweite Streckenhälfte war wirklich schwierig zu laufen. Gruss Marco
Hallo Martin, toller Bericht und ja die zweite Streckenhälfte war wirklich schwierig zum laufen.
Lieber Gruss Marco
PS: finde Deinen Blog echt cool
Hallo Marco
Danke für Dein Feedback!
Ich glaube wir sehen uns am Eiger Ultra.
Herzliche Grüsse
Martin
Hallo Martin,
wieder mal einen eindrucksvollen Lauf absolviert und das Ganze hervorragend in die schriftliche Form umgesetzt.
Viel Erfolg bei den nächsten Herausforderungen – bleib gesund.
Bernd
Hallo Martin, grosse Leistung und interessant beschrieben. Bleib gesund. Herzliche Grüsse, Cesira,Heinz.