Vorgeschichte
Der Marathon in Luzern ist das einzige Rennen, welches ich seit 2013 in jedem Jahr gelaufen bin. Obwohl ich solche „Massenveranstaltungen“ nicht mag, finde ich die Stimmung in Luzern jeweils toll und kann es geniessen. Nach meinen „Flops“ beim UTMB und beim Jungfrau-Marathon, gehe ich dieses Jahr ziemlich demütig an den Start. Ich habe die letzten Wochen praktisch nicht trainiert (49km in 7 Wochen = 7km/Woche). Marathon-Training sieht definitiv anders aus. Es gibt deshalb nur das Ziel, unter 4:00h ins Ziel zu kommen. Die Taktik dazu ist einfach: Sehr defensiv starten, den Puls auf der ersten Runde tief halten und auf der zweiten Runde geduldig fertig laufen und nötigenfalls noch etwas kämpfen.
Aus Schöftland laufen dieses Jahr viele Teilnehmer in Luzern. Jacqueline läuft ihren ersten Marathon, Adrian und Roy den ersten Halbmarathon. Dann die erfahrenen Halbmarathoner Pascal und Roger, sowie der unverwüstliche Uwe. Glücklicherweise für mich ist auch Pius wieder dabei und bietet mir das Service-Vollpaket: Startnummer abholen und An- und Rückreise-Transport.
Dank Zeitumstellung wird die Nacht eine Stunde länger und ich habe keine Probleme mit aufstehen am Morgen. Essen, Ausrüstung bereit machen und um 7:00 Uhr geht es bei Wickis los. Die Fahrt ist kurzweilig und schon bald stehen wir in der Warteschlange für den Schiff-Shuttle vom KKL zum Verkehrshaus. Die kurze Schifffahrt gehört einfach zum Luzern-Marathon. Beim Verkehrshaus verabschieden wir uns von Gertrud und marschieren zur Garderobe. Dort trenne ich mich von Pius und suche Oli Stupp, welcher hier auch beim Marathon startet und mir fast eine Stunde abnehmen wird. Startnummer montieren, warme Kleider ausziehen, Rucksack deponieren und noch die Wertsachen abgeben. Dann geht es zum Start und ich verabschiede mich von Oli, welcher natürlich viel weiter vorne einsteht als ich.
Runde 1
Ich stelle mich ganz hinten in den Startblock mit einer Zielzeit unter 3:50h ein. Ich denke zwar, dass ich nicht so schnell sein werde, will aber locker loslaufen können und nicht vorne beim 4:00h Stunden Startblock in der Meute sein. Der Start ist dann auch so unspektakulär, wie ich es noch selten erlebt habe. Ich versuche es bewusst gemütlich anzugehen und den Lauf zu geniessen.
Nach dem Start habe ich das Gefühl, meine linke Wade zwicke. Das hatte ich dieses Jahr aber eigentlich bei jedem Rennen und es hat nie zu Problemen geführt. Nach zwei Kilometern fühlen sich dann beide Oberschenkel irgendwie verhärtet an. Es fühlt sich an wie Muskelkater und die Sache irritiert mich etwas. Pace und Puls sind in Ordnung (5:35/km, unter 160 BPM) und es fühlt sich komfortabel an. Das Wetter ist zum laufen ziemlich ideal. Es ist gut 10°C und der Himmel ist bedeckt. Sonnenstich holt man sich heute keinen.
Ich halte nach mir bekannten Läufern Ausschau und entdecke als ersten Uwe, welchen ich vor der Steigung nach „Stutz“ überhole. Praktisch an jeder Vepflegungsstelle trinke ich einen Becher Wasser. Da nur zweimal Gel abgegeben wird, habe ich selber noch 3 Stück in den Hosentaschen. Zwei davon genehmige ich mir auf der ersten Runde. Die Steigungen gehen trotz immer noch harten Oberschenkeln gut. Bergab behindert mich das Problem eher stärker.
Das erste Drittel (13km) schaffe ich in unter 1:15h. Linear hochgerechnet würde das eine Zeit in den 3:40er geben. Das wäre ja wunderbar. Noch bin ich zuversichtlich. Vielleicht bin ich ja gar nicht so schlecht in Form. (Meinen effektiven Trainingsumfang habe ich erst nach dem Rennen recherchiert.) – Wiederum hat es einige Guggenmusiken an der Strecke, welche Stimmung machen. Noch interessanter finde ich aber die inoffiziellen Verpflegungs- und Unterhaltungsposten, welche von diversen Privatleuten betrieben werden. Da ist dann schon mal eine Gruppe auf einem Villenbalkon am headbangen, während aus der Anlage lautstark „Thunderstruck“ läuft. AC/DC gefallen mir heute besser als die Guggen. Irgendwie brauche ich die Energie.
Nach den beiden Hügeln geht es runter an den See und dann rein nach Horw. Dort hat es viele Zuschauer und es ist ordentlich Betrieb. Dann geht es durch die Schrebergärten Richtung Allmend. Die Strecke nimmt hier einen neuen Verlauf und führt direkt durch die Swisspor-Arena. Eine interessante Variante welche mir gefällt. Dann geht es zurück Richtung Stadt. Ich überlege gerade, dass ich heute noch keinen persönlichen Pacemaker gefunden habe, welchem ich ein wenig anhängen konnte. Zwei Minuten später entdecke ich 40m vor mir Jacqueline mit ihrem lockeren und sehr gleichmässigen Laufstil. Ich kann zu ihr aufschliessen und hänge mich unbemerkt hinten dran.
Mein Puls ist mittlerweile so an der 170er-Grenze und ich bin froh, dass ich Jacqueline anhängen kann. Ich habe das Gefühl, sie könnte schneller laufen, bin aber froh dass sie es nicht tut. So geht es durch den SUVA-Tunnel, das KKL, die Altstadt und zurück Richtung Verkehrshaus bzw. Wendepunkt. Pius kommt bereits entgegen ich kann ihm ein „Hopp Pius“ zurufen. Den werde ich heute nicht einholen können!
Bei der Verpflegung bei Kilometer 20 überhole ich Jacqueline dann, ohne mit ihr zu sprechen. Ich will sie nachher wieder überholen lassen und wenn möglich wieder anhängen. Bis zur Halbmarathonmarke holt sie mich dann aber nicht ein und ich passiere diese nach 1:52:13. Das ist schneller, als ich geplant/erwartet hätte. Kann ich die zweite Runde auch so laufen, komme ich locker unter 3:50h rein. Das wäre ja super.
Runde 2
Im nachhinein betrachtet habe ich anfangs der zweiten Runde die beste Phase des Rennens. Ich fühle mich nicht gestresst, da ich Jacqueline auflaufen lassen will. Der Puls ist so bei 170 und die Pace ungefähr bei 5:35/km. Alles im grünen Bereich! – Noch!!!
Ich suche das grosse Läuferfeld auf der Gegenseite nach bekannten Gesichtern ab und entdecke promt Roy. Er hat seinen Halbmarathon in wenigen Minuten beendet. Bei mir dauert das Rennen noch etwas länger. – Wie eigentlich jedes Jahr, kommt wir zwischen KKL und Alpenquai der Führende entgegen. Immer ein spezieller Moment, wann man sieht, dass dieser so 3km vor dem Ziel ist und ich noch fast die ganze Runde machen muss. Da ich die Situation schon kenne, bringt es mich nicht aus der Ruhe. Ich freue mich ab seiner Leistung.
Dann kommt die einsame Strecke vom Alpenquai bis zum Eisstadion. Ohne die Halbmarathon-Läufer ist die Strecke fast leer und Zuschauer stehen hier auch keine. Nach dem Eisstadion dann der kleine Hügel. Meine Oberschenkel fühlen sich nun wirklich hart und träge an. Der Puls steigt auch zum ersten Mal Richtung 180. Und hier schliesst nun auch Jacqueline auf. Ich frage kurz wie es ihr geht. Alles in Ordnung, sie will aber bei der Verpflegung hier eine Toilettenpause machen. Ich schnappe mir einen Isostar-Gel und laufe wieder alleine los.
Dann kommt der „Stutz“-Stutz. Jetzt haut es mir den Puls oben raus und ich entscheide mich, zu marschieren. Die Beine freuen sich auch über den Rhythmuswechsel. So verliere ich zwar Zeit, ich hoffe aber dadurch etwas Energie für den Schluss zu sparen. Als ich oben bin überholt mich Jacqueline mit der Bemerkung: „Ich darf einfach bis ins Ziel nicht mehr reden. Dann geht’s!“ – Ich versuche noch kurz, ihr wieder anzuhängen, spüre aber rasch, dass dies nicht mehr funktioniert. Meine Oberschenkel sind durchgeschossen und ich kann es bergab nicht mehr „laufen lassen“. Tja, 27km geschafft, noch 15km to go. Die können lange werden.
Nach 28km überholt mich Urs Rütti mit dem Hinweis, dass schon zwei Drittel geschafft sind. Recht hat er. Ich rechne linear die Zeit hoch. Wäre immer noch so 3:45h Endzeit. Leider passt meine Geschwindigkeit nicht mehr in eine lineare Gleichung. – So geht es also in den „Kastanienbaum“-Hügel, welchen ich ebenfalls hochmarschiere. Der Downhill nachher ist richtig mühsam, da einfach die Beine schmerzen. Atmung und Kreislauf wären in Ordnung. Aber es sind einfach zu wenig Muskeln am Knochen!
Dem See entlang zurück nach Horw. Am liebsten würde ich marschieren. Vor den vielen Zuschauern hier, ist mir das aber zu peinlich und ich will ja immer noch unter 4:00h ankommen. Also weiter. Bei der Verpflegung nochmals ein Gel und ein Stück Banane. Eigentlich möchte ich noch kurz pinkeln, aber das einzige Toitoi ist schon besetzt. Es ging mir ja auch mehr um eine Pause, als ums pinkeln. So laufe ich weiter und es geht durch die Horwer Schrebergärten. Dann die 35km-Marke. In der ersten Runde hatte ich mir überlegt, dass ich ab hier meinen Endspurt beginnen würde. Alles Schnee von gestern. Jetzt versuche ich mich nur noch zu motivieren, im Laufschritt zu bleiben.
Die zweite Passage der Swisspor-Arena ist weniger spektakulär als beim ersten Mal, da die meisten Zuschauer nun weg sind. Direkt nach dem Stadion hat es dann ein freies Toitoi und ich komme doch noch zu meiner Pinkelpause. – Leider fühle ich mich nachher nicht wahnsinnig viel leichter oder fitter und das zweifeln an der Sinnhaftigkeit dieses Laufes geht weiter. Ich versuche die Situation objektiv zu betrachten. – Klar, es gibt bessere Ideen, als praktisch ohne Training einen Marathon zu laufen. Andererseits wusste ich, dass ich nicht fit bin und das Ziel war von Anfang an, einfach unter 4h zu bleiben. Im Prinzip bin ich nun genau in der Situation, wie ich sie erwartet hatte. Nur war mir nicht bewusst, wie sich das dann anfühlt. (Klar hatte ich das beim Aargau Marathon im Frühling schon erlebt, aber hey, das ist ja schon lange her!) Ich überlege meine Optionen: Aufgeben? – Erstens peinlich und zweitens dauert es dann viel zu lange, bis ich im Ziel bin. Marschieren? – Das ist noch peinlicher und es dauert auch endlos, bis ich im Ziel bin.
Tja, das einfachste und schnellst ist, einfach weiter zu laufen und weniger nachzudenken! – Ich füge mich dem Schicksal und nehme Schritt für Schritt. Das würde gut funktionieren, nun aber meldet sich mein Magen bzw. ich lechze nach etwas salzigem. Wir sind hier aber bei einem Stadtmarathon (minimale Verpflegung, es hat eh niemand Zeit zum essen) und nicht bei einem Ultratrail (Bouillon, Chips, Trockenfleisch, Salzbretzeln, Wassermelonen, Käse, …..) und so bleibt mir nichts anderes übrig, als mir eine Grill-Cervelat vorzustellen, welche ich mir im Ziel möglichst umgehend besorgen will. Als ich am Streckenrand eine McDonalds-Tüte sehe, bin ich drauf und dran, diese nach einem übriggebliebenen Pommes-Frites zu durchsuchen. Ich will was Salziges!
Dann endlich zurück beim KKL. Ab hier hat es durchgehend Zuschauer und es geht einfacher. Nur noch 3km. Puls ist okay, Pace ist langsam aber stetig. Die Beine schmerzen und ich bin sicher das gibt einen Mörder-Muskelkater. Ich will einfach nur ins Ziel und meine Grillwurst. Energie für einen Endspurt habe ich absolut keine. Ich habe auch Angst vor Krämpfen, wenn ich nun beschleunigen möchte. Die Zeit ist okay. Ich werde unter 4h reinkommen.
Noch 1 Kilometer. Noch 800 Meter. Noch 600 Meter. – Keine Lust und keine Energie für einen Endspurt. Dann die Abzweigung zum Verkehrshaus. Oli steht dort am Gitter und jubelt mir geduscht, geföhnt und mit einem Bier in der Hand zu. Der Kerl ist unter 3h gelaufen! Dann geht es weg von der Strasse und rein ins Verkehrshaus. Jetzt kommt doch noch etwas Ehrgeiz auf. Ich will, dass mich niemand mehr überholt und ziehe das Tempo an. Als ich auf den roten Teppich komme nochmals ein Schub für die letzten 50 Meter. Ich kann noch einen Läufer übersprinten, so dass niemand vor mir auf dem Finisherfoto ist. – Dann bin ich im Ziel und die Uhr stoppt bei 3:55:51. Ziel erreicht!
Nach dem Rennen
Ich packe mir im Ziel einen halben Apfel und der schmeckt göttlich. Dann löse ich den Gutschein für ein alkoholfreies Bier ein. Auch eine feine Sache in dieser Situation. Dann geht es unter die sensationell heisse Dusche und dann geht es zum Grillstand!!!
Pius ist 3:40h gelaufen und war schon geduscht, als ich in die Garderobe kam. Netterweise hat er für die Heimfahrt auf mich gewartet. Den restlichen Tag habe ich dann eher gemütlich mit essen und trinken verbracht. Am Montag hatte ich noch etwas Mühe beim abwärts Treppen laufen. Der Muskelkater wurde aber nie so schlimm wie befürchtet und am Dienstag war schon fast nichts mehr zu spüren.
Schlussendlich wiederholt sich die Geschichte: Man leidet, fragt nach dem Sinn, läuft durchs Ziel, das Kurzzeitgedächtnis wird gelöscht, man fährt nach Hause und reserviert sich schon mal das Datum für den Zürich-Marathon nächsten April! – So läuft es!
Lieber Martin
Gratulation zum Finsh! Gut durchgekämpft 🙂
Wir haben kurz nach dem Stadion alle Läufer/innen angefeuert – leider dich verpasst … Es klappt ein anderes Mal!
Gute Erholung 🙂 – und bis bald irgendwo …
Bruno