UTMB 2017 – Teil 2 / Chamonix – Lac Combal

Streckenplan

 

Höhenprofil UTMB

Chamonix – Les Houches (8 km / 121 Hm)

Es ist glücklicherweise trocken, als ich mich am Freitag Abend, 10 Minuten vor dem Start in die Menge stelle. Ich bin recht ruhig und warte einfach, bis der Start erfolgt. Oli verabschiedet sich. Oli will sich in der Menge noch etwas nach vorne arbeiten. Wir wünschen uns ein gutes Rennen und verabschieden uns.

Die Stimmung wird wiederum angeheizt vom Speaker. Da ich aber nicht direkt auf den Kirchplatz sehe, bekomme ich nicht so viel mit. Dann erfolgt der Countdown und um 18:30 Uhr erfolgt der Start. Während die Spitze vornewegstürmt, kommt die Menge dahinter nur langsam in Bewegung. Es dauert etwa vier Minuten, bis ich beim Startbogen bin und die Uhr starte.

Der Start ist erfolgt. Es dauert aber noch 3 Minuten, bis ich durch den Startbogen komme.

Letztes Jahr hat mich die Stimmung mehr beeindruckt, aber auch gestresst. Es dauert wiederum rund 10 Minuten, bis ich überhaupt zum ersten Mal laufen kann. Vorher ist in den Menschenmassen nur Marschtempo möglich. Der Plan von Oli hat irgendwie nicht richtig funktioniert und er überholt mich nun. Er wurde wohl nach hinten gedrängt. Ich lege mir meine Taktik oder auch mein Mantra fest: „Einfach mal 40 Stunden konstant vorwärts kommen und dann schauen, wo ich stehe.“ – Ganz perfekt wäre, bereits hinter der Ziellinie. Wahrscheinlich ist es aber in Schlagdistanz zum Ziel. Und sonst immerhin so nahe, dass ich bis zum Zielschluss nach 46 Stunden wieder in Chamonix bin. Ich will mich einfach während dieser 40 Stunden möglichst wohl fühlen und nicht stressen lassen.

 

Durch Chamonix

Es geht dann aus Chamonix raus und es gibt etwas mehr Platz. Ich versuche nicht zu schnell zu laufen und Energie zu sparen. Als es in den Wald geht, wird das einfacher, da die ganze Schlange gebremst wird. Wettermässig ist es ziemlich ideal. Ich laufe mit langen Hosen und Langarm-Shirt, bei welchem ich die Ärmel aber nach hinten krempeln kann. So darf es bleiben. Letztes Jahr hatte ich keine Freude an den stetigen kurzen Staus. Heute machen sie mir nichts aus. Ich habe genügend Zeit und es geht nur darum, jetzt nicht schon unnötig Energie zu verschleudern.

Nach so 4 Kilometern beginnt es zu tröpfeln. Ist aber nichts ernstes und es hört bald wieder auf. Vor mir entdecke ich Richi Tonolla. Wir sind schon viele Läufe „parallel“ gelaufen und letzthin beim Eiger Ultra konnten wir dann ein paar Kilometer gemeinsam zurücklegen. Er schreibt auch Laufberichte und erstellt vor allem tolle youtube-Videos. Wir tauschen uns über dies und das aus und bleiben bis zur Steigung nach Les Houches zusammen. Dort lässt er dann abreissen, leider ohne dass ich mich richtig von ihm verabschiede. Als ich dies merke, ist es schon zu spät und ich bin zu fokussiert aufs vorwärtskommen, als dass ich auf ihn warten möchte. Ich schätze die Chance, dass er mich wieder einholt auch als recht gross ein.

Stetiges Gedränge auf den ersten Kilometern

Ähnlich wie letztes Jahr bin ich nach knapp einer Stunde in Les Houches. Die wahrscheinlich einfachsten Kilometer des ganzen Laufes sind so bereits erledigt. Ich bin zufrieden und fühle mich gut. Soweit alles im grünen Bereich.

Les Houches – Saint Gervais (21 km / 954 Hm)

In meinem Kopf habe ich das Rennen in 3 Etappen aufgeteilt, welche jeweils 3 grobe Steigungen enthalten. Für die erste Nacht sieht dieses Programm die Steigungen von Le Délevret, Col du Bonhomme und Col de la Seigne vor. Morgen tagsüber läuft dann die zweite Etappe mit Arête du Mont Favre, Refuge Bertone und Grand Col Ferret. Die dritte Etappe soll möglichst komplett in der Nacht auf Sonntag  gelaufen werden und beinhaltet „die drei überflüssigen Hügel“, wie sie Martin Zwahlen mal genannt hat, La Giète, Catogne und La Flègere. – Die letzten drei „Bumpys“ wie ich sie nenne, nehme ich nicht so ernst. Allerdings ist mir beim Streckenstudium aufgefallen, dass diese „Hügelchen“ auch 2000m hoch sind und Steigungen von so 700 Höhenmeter bedeuten. So einen haut man nicht einfach in 45 Minuten weg. Das ist schon mal klar.

Nun geht es aber zuerst mal an Le Délevret. Gut 700 Höhenmeter auf knapp 6km Strecke. Ich beschliesse, meine Stöcke noch nicht auszupacken und somit Kraft in den Armen zu sparen. Das Tempo ist wegen dem Gedränge eh nicht so hoch. Ich bin viel ruhiger als letztes Mal und schon wieder fällt mir auf, dass ich die Staus eher als Erholungspause geniesse, als dass sie mich stressen. Heute habe ich Zeit!

Der Aufstieg nach Le Délevret beginnt

Ein Läufer telefoniert mit seinem Betreuer. Er hat aus Versehen einen defekten Stock eingepackt und versucht nun, dass ihm ein ganzer gebracht wird. Nicht ganz einfach auf die Schnelle. Ich habe etwas Respekt vor dieser Steigung, da sie teilweise sehr steil ist und ich letztes Jahr hier recht gelitten habe. Ich finde dann aber zuerst eine Australierin mit sehr kurzen Shorts, welcher ich folgen kann. Irgendwann klinkt sie sich aus und ich hänge jemandem anders an. Ich achte immer darauf, dass ich gefühlsmässig schneller laufen könnte, als mein Pacer. So geht das entspannt und ich überanstrenge mich nicht. Die Pulsfunktion der Garmin habe ich ausgeschaltet. Diese bringt hier eh nicht so viel und braucht nur unnötig Batterie.

Im ersten Aufstieg noch ziemlich entspannt

Da wir wegen der Streckenverkürzung eine halbe Stunde später gestartet sind, sind wir natürlich noch nicht so weit, als es eindunkelt. Ich entscheide mich für die schwächere meiner Stirnlampen und will versuchen, die erste Nacht mit dieser zu laufen. Dann hätte ich die stärkere noch für die zweite Nacht und könnte wahrscheinlich ohne Batteriewechsel durchlaufen. – Oberhalb von ca. 1’500m kommen wir in den Nebel. Eine tolle Stimmung hier in den Bergen.

Teilweise mystische Stimmung im Nebel

Dann ist dieser erste Anstieg geschafft und es geht in den Downhill. Dieses Jahr habe ich zum Glück keine Magenprobleme und fühle mich gut. Irgendwann beginnt es dann zu tröpfeln. Glücklicherweise aber nicht schlimm und ich muss noch keine Jacke anziehen. Einzelne Läufer überholen teilweise haarsträubend. Ich ärgere mich etwas und frage mich, was solche Manöver nach nicht mal 20km bringen. Einer regt mich besonders auf. Er überholt, dann haut’s ihn auf den Arsch. Ich gehe vorbei und wenige Minuten später drängelt er sich schon wieder vorbei und rutscht mit seinen Scheiss-Sohlen in der Landschaft rum. – Ich staune wieder einmal, wie unterschiedlich die Schuhsohlen greifen. Mein Hoka Rapa Nui ist einfach sensationell. Ein richtiger Glückstreffer. Da beobachte ich Läufer vor mir, welche teilweise fast bei jedem Schritt wegrutschen. Der Rapa Nui hält irgendwie auf jedem Untergrund.

Verpflegung Saint Gervais

Um 21:46 Uhr (3:16 Laufzeit) treffe ich in Saint Gervais ein. Ich habe somit 45 Minuten Reserve zur Cut-off-Zeit. Das passt soweit. Direkt hinter mir wird der 2000. Läufer angekündigt. Ich habe also noch Luft nach vorne. Ich fülle die Wasserflasche und nehme einen Teller Nudelsuppe und ein Stück Brot. Im Gegensatz zu letztem Jahr sitze ich nicht ab. Ich fühle mich gut und will so rasch wie möglich weiter.

Saint Gervais – Les Chapieux (50 km / 2887 Hm)

Es folgt nur der Anstieg zum Croix du Bonhomme. Das sind rund 1’600 Höhenmeter verteilt auf 24 Kilometer. Bis Notre Dame de la Gorge geht es ständig nur leicht aufwärts. Nachher steigt die Strecke dann steil an. Mir liegt dieser Abschnitt grundsätzlich und ich freue mich darauf. In den flachen Teilen laufen allerdings viele Läufer und das macht mich etwas nervös, weil ich dieses Tempo nicht mitgehen kann und will. Ich checke immer wieder, ob ich mich gut fühle und erinnere mich daran, dass ich einfach 40 Stunden am Stück wandern will.

Es gibt immer wieder die Engstellen mit Stau. An einer stehen ein paar Jungs von Hoka und erstellen eine Laufschuh-Statistik. Einer schaut sich die Schuhe der Läufer an und schreit die Marke in die Nacht. Seine Kollegen führen die Strichlisten. Oli erzählt mir später, dass er den Schreier verwirrt hat, da er einen Mammut-Prototyp läuft. Oli hat ihm dann einen Tipp gegeben. So zufrieden ich mit meinen Hokas bin, so unzufrieden bin ich bei diesem Lauf mit meinen Gamaschen. Schon vor Kilometer 30 reisst das Halteband am linken Fuss. Ich reisse das Ding dann weg und ziehe die Gamasche später ganz aus. Bei der rechten Gamasche dauert es länger, aber auch diese hält nicht das ganze Rennen. Hier hätte ich zur Sicherheit wohl besser auf ganz neue Gamaschen setzen sollen.

Kurz nach 23:30 (5:02 Laufzeit) treffe ich in Les Contamines ein. Wasser füllen, Nudelsuppe, Brot, raus. Ich habe nun eine Stunde Vorsprung auf die Cut-off-Zeit. Das entwickelt sich in die richtige Richtung.

Und immer mal wieder Stau

Bis Notre Dame de la Gorge geht es noch im flotten Marsch. Dort hat es dann viele Zuschauer und eine super Stimmung. Danach wird es einsamer (nur betreffend Zuschauer) und vor allem steiler. Es wird kälter und beginnt leicht zu regnen. Ich muss mich wärmer/besser anziehen und entscheide mich für die Nordic-Walking-Jacke. Sofern der Regen nicht stärker wird, ist diese besser als die Regenjacke, da sie atmungsaktiver ist. Dazu ziehe ich die wasserdichten Handschuhe an, welche ich vor dem Rennen am Salon du Trail gekauft habe.

Für den Aufstieg zum Col du Bonhomme suche ich mir wieder passende Pacemaker. So geht es ziemlich mühelos vorwärts. Einfach den Füssen vor mir folgen. Zwischendurch schiebe ich mir mal eine Hanuta-Waffel rein. Die schmecken gut und geben Energie. Wettermässig ist es immer noch viel besser als ich erwartet habe. Es ist zwar kühl, aber so lange man sich bewegt kein Problem. Der Regen hält sich auch in Grenzen und der Wind ist nicht allzustark. Der Vorteil gegenüber den heissen Temperaturen von 2016 ist, dass man nicht so viel Flüssigkeit aufnehmen muss und der Magen somit nicht stark gefordert wird. Ich kann in diesem Rennen vier Mal aufs WC. Das ist sensationell viel und zeigt, dass ich genügend Essen und Flüssigkeit aufnehmen konnte.

Bei der Verpflegung La Balme habe ich 1:15h Reserve zur Cut-off-Zeit. Weiter gehts in den letzten Anstieg. Die Lichtschlange der Stirnlampen nach vorne und hinten ist wiederum beeindruckend. Das Refuge de la Croix du Bonhomme erreiche ich um 03:00 Uhr. Eine halbe Stunde vor meinem Zeitplan. Alles in Butter.

Im Downhill nach Les Chapieux bin ich dann erwartungsgemäss nicht der Schnellste, gewinne aber sogar ein paar wenige Plätze. Nach 9:26h Laufzeit treffe ich um 03:57 Uhr in Les Chapieux ein. Die ersten 50 Kilometer sind geschafft und ich fühle mich tiptop.

Les Chapieux – Lac Combal (66 km / 4025 Hm)

Letztes Jahr hatte ich hier einen bereits voraus geplanten Powernap eingelegt. Dieses Jahr will ich ohne Unterbrechung so weit laufen wie es geht. Ich denke aufgrund des kühlen Wetters, sind die warmen Schlafplätze wahrscheinlich eh überbelegt. Ich erkämpfe mir einen Teller Nudelsuppe und setze mich ausserhalb des Verpflegungszelts kurz hin. Sobald der Teller so leer ist, dass ich diesen bis zum Abfalleimer austrinken kann, stehe ich wieder auf. Um 4:05 Uhr, acht Minuten nach dem ich reingekommen bin, verlasse ich den Posten Les Chapieux wieder. In dieser Verpflegungsstation gewinne ich weit über 100 Plätze.

Nun steht der dritte und letzte Aufstieg für diese Nacht an. Es geht rund 950 Höhenmeter hoch zum 2516m hohen Col de la Seigne. Am Anfang wieder eine mässige Steigung auf breiter Strasse. Später steiler Singletrail-Aufstieg.

Schon kurz nach der Verpflegung habe ich ein spezielles Erlebnis. Ich sehe weiter vorne eine erleuchtete Gondelbahnstation. Zwei Männer schieben von Hand eine Gondel aufs Seil. Ich überlege, wieso morgens um vier denn die Bahn läuft. Wollen die vielleicht einen verletzten Läufer runterholen? Oder können wir wegen der Witterung mit der Bahn hoch? – Ein paar Minuten später merke ich, dass ich gar nicht an der Station vorbeigekommen bin und dass es hier keine Gondelbahn hat. Richi Tonollo mit seinen Berichten von Halluzinationen kommt mir in den Sinn. Nun hat es mich also auch erwischt. Ich bin erstaunt, dass dies bereits in der ersten Nacht passiert ist und ich zudem nicht das Gefühl habe, dass ich am Anschlag laufe.

Kurz vor dem Col de la Seigne

Auch dieser Aufstieg geht gut. Am rechten Fuss habe ich eine schmerzhafte Stelle an der Ferse. Ich befürchte, dass es ein Riss in der Haut ist, welcher durch das nass werden und wieder austrocknen entstanden ist. Ansonsten habe ich überhaupt keine Probleme. Atmung, Kreislauf, Muskulatur, Gelenke, alles tiptop und keine Beschwerden. Ich bin selber etwas erstaunt.

Ich kann wieder verschiedenen Läufern anhängen. Am Schluss einem Norweger, welcher mit gutem Tempo den Berg hochzieht. Kurz nach 6:30 Uhr stehe ich auf dem Col de la Seigne. Dies ist praktisch zur gleichen Zeit wie letztes Jahr. Wegen der späteren Startzeit heisst das, dass ich eine halbe Stunde schneller unterwegs bin, bzw. keine Zeit durch einen Powernap verloren habe.

Col de la Seigne

Es ist kalt hier oben und ich mache mich sofort auf den Abstieg. Mit klammen Fingern öffne ich noch ein Hanuta um etwas Heizenergie einzuwerfen. Positiv überrascht bin ich vom Wetter. Der neue Tag kündigt sich recht freundlich an. Zumindest für die nächsten Stunden wird es wohl trocken bleiben.

Nun kommen wir an die erste Streckenveränderung. Wir steigen direkt nach Lac Combal ab und müssen nicht den Umweg über den Col Pyramides Calcaires nehmen. Mir ist das recht, denn der Weg dort durch ist stark verblockt und etwas mühsam zu laufen. Auf dem direkten Weg geht das einfacher.

Richtung Lac Combal

Der Downhill macht mir wegen den Fusssohlen etwas zu schaffen. Mittlerweile habe ich die Stelle an der Ferse auch am linken Fuss. Ich hätte die Füsse wohl besser pflegen sollen. Aufwärts und flach ist es kein Problem. Abwärts in technischen Gelände habe ich Schmerzen beim Auftreten.

Um 7:20 Uhr bin ich beim Posten Lac Combal. Das Programm für die erste Nacht habe ich damit abgespuhlt. Ich habe 12:50h dafür gebraucht und habe nun schon über 65km und 3’800 Höhenmeter auf dem Wecker. Die Garmin zeigt viel zu wenig Kilometer an und ich führe das auf den Ultrac-Modus zurück. Interessanterweise zeigt das selbe Modell, bei gleiche Einstellung, bei Oli zu viele Kilometer an. – Ich habe nun über 2:30 Vorsprung auf den Cutoff und liege auf Rang 1364. Alles im grünen Bereich. Die Tagesschicht kann beginnen!

Verpflegung Lac Combal

UTMB 2017 – Teil 1: Vorgeschichte
UTMB 2017 – Teil 2: Chamonix – Lac Combal
UTMB 2017 – Teil 3: Lac Combal – La Fouly
UTMB 2017 – Teil 4: La Fouly – Chamonix
UTMB 2017 – Teil 5: Nach dem Rennen

2 Kommentare zu UTMB 2017 – Teil 2 / Chamonix – Lac Combal

  1. Vegan Trailrunner 9. September 2017 um 15:01 #

    sehr interessant zu lesen, freu mich schon auf den nächsten Teil…..:)

  2. Doris 9. September 2017 um 18:46 #

    deine Laufberichte sind immer sehr spannend und so interessant, ich bin wie in einem Film mit dabei. Freue mich sehr auf Teil 2