Vorgeschichte
Auch dieses Jahr habe ich mich wieder für den Luzern Marathon angemeldet. Auch dieses Jahr wollte ich vorher trainieren. Auch dieses Jahr habe ich dann im September und Oktober praktisch gar nicht trainiert. Auch dieses Jahr hoffte ich, trotzdem unter vier Stunden das Ziel zu erreichen. – Der Luzern Marathon ist das einzige Rennen, welches ich seit 2013 jedes Jahr gelaufen bin.
Meine zielgerichtete, aber sehr einseitige Vorbereitung auf den UTMB, hat mir zwar dort den Finish ermöglicht. Leider habe ich kurz nach dem UTMB Probleme im unteren Rücken bekommen. Ich führe das darauf zurück, dass sich meine Muskulatur im Hüftbereich verkürzt hat und ich mich deshalb nicht „rund“ bewege. Auf jeden Fall habe ich die letzten Wochen mit regelmässigen Dehnübungen versucht, das Problem zu entschärfen. – Daneben lagen die Prioritäten vor allem im Beruf und der Familie. Die Laufschuhe habe ich praktisch nie geschnürt.
Die Anreise funktioniert wiederum gut, da ich mit Gertrud und Pius Wicki fahren kann. Die beiden haben verdankenswerter Weise meine Startnummer bereits wieder am Samstag abgeholt, so dass wir heute keinen Stress haben. Um 6:45 Uhr fahren wir in Schöftland ab und holen in Kirchleerau noch Markus Hauri ab, welcher den Halbmarathon laufen wird. Ich bin etwas unsicher, was mich heute erwarten wird, da ich mich nicht richtig in Form fühle. Ich hoffe aber trotzdem, dass ich es wiederum schaffe, irgendwie unter vier Stunden zu bleiben.
Nach dem umziehen verabschiede ich mich bald von Pius und Markus. Die beiden starten weiter vorne. Ich laufe mich noch ein paar Meter ein und warte dann zuhinterst im Startblock für eine Endzeit unter 3:50h. Das ist im Prinzip ein Block zu weit vorne, ich will aber zum einen lieber zuhinterst im Block loslaufen und zusätzlich nicht noch viel später als die anderen starten.
Beim warten kommen Roger Baumberger und Urs Rütti vorbei, welche auch den Halbmarathon machen und weiter vorne starten. Dann treffe ich Uwe Mandre, welcher heute nicht läuft und als „Fotograf“ unterwegs ist. Ich bin gespannt, wie es laufen wird. Nicht gerade optimistisch macht mich die Tatsache, dass ich Rückenschmerzen im Lendenbereich habe. Das sollte so nicht sein.
Runde 1
Um 9:00 Uhr startet der erste Block. Für meinen Block fällt der Startschuss um 9:10 Uhr. Gemütlich mache ich mich auf die Strecke. Ich hoffe der Rücken entspannt sich durch die Bewegung etwas. Dadurch, dass ich zuhinterst in einem für mich „zu schnellen“ Block gestartet bin, hat es so wenig Läufer um mich wie selten. Ich geniesse die Ruhe und versuche einfach ein Wohlfühltempo zu finden.
Die Pace pendelt sich irgendwo im Bereich von 5:30/km ein und der Puls steht irgendwo bei 150 Schlägen/Minute. Ich bin mir bewusst, dass es heute nur mit Geduld funktionieren kann. Wenn ich zu schnell drein gehe, dann wird das heute ganz böse enden.
Von den Erfahrungen im Frühling am Zürich Marathon und am Ultra Bielersee, bin ich noch etwas verunsichert, ob meine Motivation für diese flachen 42 Kilometer reichen wird. In Luzern hat es mir aber all die Jahre immer gut gefallen und dank abwechslungreicher Strecke und viel Musikunterhaltung wird es auch nicht langweilig.
Es geht raus aus der Stadt und über den ersten Hügel Richtung St. Niklausen. Soweit funktioniert es bei mir und ich bin zufrieden. Bei den Verpflegungen gönne ich mir jeweils einen Becher Wasser und ab und zu ein Stück Banane. Ich habe mich entschieden, meine leichte Raidlight-Laufweste mitzunehmen, in welcher ich neben dem Handy auch einen halben Liter Wasser drin habe. So kann ich jederzeit trinken, wenn ich durstig werde.
Weiter Richtung Kastanienbaum. Ich finde es alle Jahre toll, wie die Anwohner hier beim Lauf mitfeiern. Die einen organisieren eine Balkonparty und bedröhnen die Strecke mit AC/DC-Sound. Andere errichten an der Strasse komplette Apéro-Bars und fröhnen einer Nachbarschafts-Frühschoppen-Runde.
Dem See entlang führt dann die Strecke Richtung Horw. Eingangs Horw ist das erste Streckenviertel geschafft. Ich habe dazu ungefähr 58 Minuten gebraucht. Das ist sehr genau nach Plan.
Ausgangs Horw treffe ich dann Uwe wieder an, welcher seinen Fotoposten hier bezogen hat. Weiter geht es zur Allmend und dort durch die Swisspor-Arena. Die Passage durchs Stadion ist spezielle und trägt auch zur Abwechslung bei. Nachher kommt eher wieder ein „Fleiss“-Abschnitt bis zurück zum KKL.
KKL-Passage, dann runter in die Altstadt und wieder zurück Richtung Verkehrshaus. Die Halbmarathon-Läufer stellen nun langsam auf Endspurt um und ich versuche bewusst ruhig und geduldig zu bleiben und mich nicht mitreissen zu lassen.
Dann werden Halbmarathon- und Marathonläufer getrennt und für uns geht es um die Wendeboje. Die Halbmarathonmarke passiere ich nach 1:55:31. Noch alles im grünen Bereich. Ich kann die zweite Runde fast 10 Minuten langsamer laufen und wäre immer noch unter 4 Stunden.
Runde 2
Der Puls ist während der ersten Runde stetig angestiegen und liegt nun bereits etwa im Bereich von 170 Schlägen pro Minute. Der Anfang der zweiten Hälfte funktioniert auch heute gut. Anfangs sieht man auf der Gegenseite die Läufer, welche hinter einem liegen. Das ist ein gutes Gefühl. Vom Schwanenplatz übers KKL bis zur Schiffswert hat es viele Zuschauer an der Strecke und Speaker sorgen für Stimmung. Hier geht es noch recht einfach.
Aber dann geht es recht einsam das Alpenquai hoch und hier habe ich in der Regel eine erste Krise. Heute kann ich einem Läufer anhängen und konzentriere mich einfach auf dessen Fersen. So bringe ich die Strecke bis zum Eisstadion hinter mich. Dann kommt der erste kleine Hügel, der Puls orientiert sich zum ersten Mal Richtung 180 und die Pace fällt zusammen. Ab nun beginnt der Kampf!
Den grösseren Hügel nach St. Niklausen marschiere ich dann hoch. Mein Rücken, welcher sich auf der ersten Runde noch ganz gut angefühlt hat, verspannt sich nun wieder immer mehr. Auch abwärts kann ich nicht richtig Tempo machen. – Wieder einmal staune ich über den „Selektiv-Gedächtnis-Effekt“ nach einem Rennen. Als ich vor dem Rennen an letztes Jahr zurück gedacht habe, hatte ich das Gefühl, da war alles easy und gut, nur etwas langsam. Nun wird mir aber bewusst, dass es letztes Jahr genau der gleiche Kampf war wie heute, nur hatte ich das in der Finisher-Euphorie völlig ausgeblendet.
Anyway! Irgendwie muss ich zurück zu meiner Sporttasche in Luzern. Der Körper möchte gerne marschieren, der Kopf sagt weiterlaufen, damit es möglichst rasch vorbei ist. – Die Steigung hoch nach Kastanienbaum marschiere ich dann mit gutem Gewissen. Der Puls würde explodieren und das bringt es nicht.
Es geht wieder runter zum See und auf der flachen Strecke drängen sich wieder mal die Fragen betreffend dem Sinn dieser Sache ins Bewusstsein. Ich versuche mich mit Finisher-Zeit-Prognosen abzulenken. Für drei Viertel der Strecke habe ich 2:58h benötigt. Linear gerechnet beträgt die Endzeit weniger als 4 Stunden. Da ich noch nie einen Marathon linear gelaufen bin und die Geschwindigkeitskurve immer degressiv war, wird das heute wahrscheinlich nicht hinhauen.
In Horw spielt mein Verstand dann das Szenario Rennabbruch und Test des Luzerner-ÖV-Systems durch. Unglaublich! Da finisht man recht locker (Selektiv-Gedächtnis-Effekt!) den UTMB und dann will man so ein Sonntags-Marathönchen nach gut 30 Kilometern schmeissen! – Das Abbruch-Szenario wird verworfen, da es erstens peinlich wäre und zweitens befürchte ich, dass ich mehr Zeit bis zur Dusche benötigen würde.
Objektiv betrachtet sind Witterungsbedingungen heute optimal und wenn ich mich umschaue, hat es zwar Läufer welchen es besser geht als mir. Ich bin aber andererseits längst nicht der einzige, welcher leidet. Immerhin habe ich keine Krämpfe oder sonstige grobe Probleme. Klar bin ich nicht in Form, aber das Hauptdefizit liegt momentan zwischen meinen Ohren.
Also weiter mit Zwischenziel Swisspor-Arena. Direkt nachher belohne ich mich mit einer Pinkelpause. Immer ein spezielles Erlebnis, wenn man aus der Anstrengung und dem Laufrhythmus raus plötzlich stillsteht und es einem fast schwindlig wird. Noch spezieller ist es dann, wieder loszulaufen.
Die letzten 6 Kilometer brechen an. Im Prinzip keine Distanz mehr. Noch 35 bis 40 Minuten im aktuellen Schneckentempo. Das Motto heisst immer noch „Geduldig bleiben!“. – Innerlich hoffe ich, Gertrud, Pius und Markus haben ebenfalls Geduld mit mir und warten mit heimfahren, bis auch ich im Auto sitze.
Es geht wieder zurück in die Stadt und mit der KKL-Passage wird die Endphase eingeläutet. Mein Gedankenhorizont verlagert sich langsam auf die Zeit nach dem Zieleinlauf. So schnell wie möglich unter die Dusche und nachher direkt zum Grillstand, einen Hamburger holen. So ist der Plan. Nun werde ich langsam ungeduldig.
In der Altstadt rechne ich, ob es doch noch unter 4 Stunden reichen könnte. Der Zug ist aber definitiv abgefahren und ich hoffe, dass es nicht allzuviel drüber wird. – So laufe ich einfach „locker“ zu Ende und finde keine Energie mehr, um einen sinnlosen Endspurt anzuziehen.
Rein ins Verkehrshaus und über den roten Teppich ins Ziel. Die Uhr stoppt für mich bei 4:02:50. Ziel verpasst!
Nach dem Rennen
Von der Ziellinie bis nach der Dusche kann ich den Rückstand auf Pius praktisch gutmachen. Durch den Hamburger verliere ich dann zwar nochmals ein wenig Zeit, ich darf aber trotzdem mit Wickis nach Hause fahren. Herzlichen Dank!
Ich war bis jetzt ein wenig stolz, dass ich es jedes Mal geschafft habe, den Marathon unter 4 Stunden zu finishen, egal wie wenig ich trainiert hatte. Irgendwann kommt aber der Tag, an dem man sich nicht mehr selber bescheissen kann. Und das war halt jetzt so. – Schlussendlich hatte ich trotzdem Freude, dass ich den Lauf geschafft habe. Am Abend bin ich auf jeden Fall müde und zufrieden eingeschlafen.
Um den Laufbericht zu schreiben, hat mir nun fast einen Monat die Motivation gefehlt. – Viel mehr Motivation hatte ich hingegen für die Saisonplanung 2018. Der X-Alpine 111km in Verbier soll im Juli zum Saisonhöhepunkt werden. Ende Mai will ich am Maxi-Race 85km in Annecy starten. Für den Eiger Ultra habe ich mich gar nicht um einen Startplatz beworben. – Ich will nächstes Jahr mal ein paar neue Sachen ausprobieren. Irgendwie habe ich aber das Gefühl, dass ich Ende Oktober trotzdem wieder in Luzern gegen die 4 Stunden kämpfen werde!
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