Meiringen – Planplatten – Jochpass – Engelberg
Schweren Herzens lassen wir Anni zurück und machen uns um 20:10 Uhr zu Dritt auf den Weg. Es wird bereits dunkel, da es viele Wolken am Himmel hat. Gemäss Sicherheitsexperte und Wetterfrosch Ralph sollten wir aber trocken bleiben. Bald schon schalten wir die Stirnlampen ein.
Die Kennwerte zu dieser Etappe lauten:
- Wo sehen wir die Betreuer wieder? – Engelberg
- Wie weit ist es bis dort? – ca. 32km
- Wie lange benötigen wir? – 7 bis 8 Stunden (Ankunft ca. 03:00 Uhr bis 04:30 Uhr)
- Passübergang? – Planplatten, 2229 müM, Aufstieg gut 1600Hm / Jochpass 2208müM
Ich lerne eine weitere Lektion betreffend Mehrtagestour: Sichere Navigation sicherstellen. Trotz vorgängigem Hinweis von Brigitte, den GPS-Track auf die Uhr zu laden, habe ich das nicht gemacht. Ich habe mir Papierkarten ausgedruckt und den Track zusätzlich auf der Schweizmobil-App gespeichert. Ich ging davon aus, dass die Navigation ja nicht so schwierig sein könnte, da wir ja immer auf Wanderwegen unterwegs sein würden. Schon durch Meiringen muss ich feststellen, dass die Navigation mit der Uhr viel praktischer ist, als mit der Karte. Sobald ich dann im Aufstieg die Stöcke in die Hand nehme, geht es mit der Karte gar nicht mehr. Die Wanderwegweiser funktionieren am Tag gut. In der Nacht reicht diese Beschilderung aber nie und nimmer aus. Zum Glück haben die Frauen ihre Suntoo-Uhren dabei. Diejenige von Brigitte hat beim SPINE-Race den Übernamen „George“ bekommen. „Was sagt George?“ wird bald zum geflügelten Wort.
Ich bin erleichtert, dass mir das von Brigitte angeschlagene Tempo auch in diesem Aufstieg passt. Statt der Strecke versuche ich den Höhenmesser und die Zeit im Blick zu behalten. Es sind 1600 Höhenmeter Aufstieg, gemäss meiner Faustformel geteilt durch 10, wären ca. 160 Minuten Zeitbedarf. Aufgrund der Ermüdung etwas aufrunden würde heissen, wenn wir vor 23:30 Uhr auf der Planplatten sind, wäre das tiptop.
Der Aufstieg ist dann recht kurzweilig, da wir unseren gemeinsamen Trailrunner-Bekanntenkreis durchsprechen. „Kennst Du die/den?“ – „Wie hältst du von …?“ – „Die/den musst du unbedingt mal kennnenlernen!“ …. Schon spannend, wie die Vernetzung in Zeiten von Facebook etc. funktioniert. Ein weiteres Thema sind die Rennen, welche jeder schon gelaufen ist oder noch laufen will. Die Ladies legen mir das Dragon’s Back Race ans Herz. Sie meinen das wäre was für mich.
Die beiden haben mittlerweile über 200km absolviert und ich staune nur, wie stetig sie sich bewegen. Ich stellte mir das marschieren in der Gruppe schwierig vor. Jetzt funktioniert das aber tadellos und ich bin erleichtert. Mit dem Tempo habe ich auch keine Mühe und muss mich nicht zu stark verausgaben. Erste Hoffnungen kommen auf, dass ich doch recht weit kommen könnte.
Nach ziemlich genau 3 Stunden (23:10 Uhr) stehen wir dann auf der Planplatten. Etwas Nebel zieht auf, oben haben sich die Wolken aber verzogen und der Sternenhimmel steht herrlich über uns. Wir rasten kurz und machen, wie ich es nenne: „Schulreiseverpflegung“. Jeder plündert seinen Rucksack und bietet den anderen seine Verpflegung zum teilen an. Im Stillstand beginnen wir bald zu frieren, ziehen uns Jacken an und gehen dann weiter.
Auf die Strecke zwischen Planplatten und Jochpass hatte ich mich gefreut. Vollmundig hatte ich angekündigt, dass ich mich hier von zwei Mountainman-Teilnahmen etwas auskennen würde. – Die Ernüchterung bei Nacht und Nebel kommt dann ziemlich rasch. Bis zur Tannalp gebe ich fünf Mal intuitive Navigationshinweise, fünf Mal sagt „George“ etwas anderes und fünf Mal hat „George“ recht! – Nicht nur meine Navigation ist mühsam, auch der Trail ist recht tricky und wir können nicht richtig Tempo machen. Priorität liegt aber darin, hier sicher durchzukommen.
Endlich geht es dann runter zur Tannalp und weiter zur Engstlenalp. Ich habe mittlerweile einen Marathon hinter mir und an meinen Fersen bilden sich schmerzhafte Risse, da ich die Füsse zu wenig eingecremt habe. Es ist bereits nach 2:00 Uhr morgens und wir sind noch nicht mal beim Jochpass. Anja ist sehr müde und möchte sich hinlegen. Sie strahlt mit der Stirnlampe grosse Felsen an und behauptet es seien Holzhütten. Wir treiben sie weiter bis wir auf der Engstlenalp ankommen und tatsächlich Gebäude sehen.
In einem brennt noch Licht, welches aber ausgeht, bevor wir da sind. Brigitte klopft zögerlich, es öffnet aber niemand. Bei der Alphütte nebenan haben wir auch das Gefühl, es brenne noch ein Lichtlein. Anja ist begeistert: Hier wohnen Läufer, da vor der Türe eine Plastiktasche mit einem Jogger-Sujet steht. Brigitte klopft und klingelt an einer Schelle. Nichts tut sich. Wir ziehen bereits weiter, als sich oben ein kleines Fenster öffnet und der Kopf eines Mannes erscheint. Brigitte erklärt, dass wir uns auf dem Weg nach Engelberg befinden und uns kurz in seinem Stall hinlegen möchten. Er gibt uns zu verstehen, dass er runter kommt und wir fühlen uns gerettet.
Es ist 2:30 Uhr morgens, als sich der obere Teil der Stalltüre öffnet. Statt einem Läufer steht eher ein Bärenjäger mit nacktem Oberkörper vor uns. – Dies ist wohl der Moment, als die beiden Frauen froh sind, doch noch einen Mann bei sich zu haben und ich endgültig im Team drin bin! – Auch der untere Teil der Türe geht auf (zur Enttäschung der Frauen ist er dort bekleidet) und wir werden hereingebeten. Unser Gastgeber will nicht wissen, wer wir sind und fragt nur, ob wir das Gefühl haben, mitten in der Nacht nach Engelberg zu laufen sei eine gute Idee. Er meint wir hätten noch mindestens fünf Stunden bis dort. Ich gebe ihm lässig zu verstehen, dass wir das in drei Stunden erledigen würden. Er hält dagegen und genau bevor mir Brigitte einen Tritt gegen das Schienbein versetzt, merke ich selber, dass ich lieber einen Ruheplatz, als Recht haben will.
Was nun abgeht, können wir selber kaum glauben und werden wir uns bis Elm unzählige Male selber wieder erzählen. Der „Läufer“ holt zwei Liegestühle für die Mädels. Dann fragt er, ob wir Wasser oder Bouillon haben möchten. Er kocht uns dann Buchstabensuppe, stellt Brot, Käse und Fleisch hin und installiert auch gleich noch einen kleinen Heizlüfter. Dann zieht er sich zurück und lässt uns alleine.
Nach der Verpflegung legen sich Anja und Brigitte dann auf den Liegestühlen hin. Ich gehe von einem 20-Minuten-Powernap aus und kümmere mich nicht um einen guten Schlafplatz. Als sie dann unter „Läufer’s“ Decken und Jacken eingekuschelt sind, verlangt Anja nach einer Stunde Schlaf. Ich stelle den Timer und verspreche, den Weckdienst zu übernehmen.
Die erste Viertelstunde ist komfortabel, aber dann beginne ich zu frieren. Meine Daunenjacke habe ich Anja gegeben und will ihr diese nicht wieder wegnehmen. Ich lege mich dann neben Brigittes Liegestuhl direkt vor den Heizlüfter. Ich kann zwar nicht schlafen, aber immerhin friere ich nicht mehr.
Nach einer Stunde wecke ich die beiden, sie verlangen aber nochmals eine Stunde Ruhe. Ich informiere per WhatsApp zwischdurch immer Karin in Engelberg und mache mir Sorgen um unseren Zeitplan. Wir lagen in Grindelwald schon zurück und verlieren auch hier wieder Zeit. Vaduz bis Sonntag Abend zu erreichen wird immer unwahrscheinlicher. Das Projekt beginnt sich aufzulösen.
Ich versuche mich auch zu regenerieren, an Schlaf ist so aber nicht zu denken. Mit dem Ofen kann ich mich knapp warm halten, getraue mich aber nicht, mich besser einzurichten, um die Ladies nicht zu stören. Kurz vor Ablauf der zweiten Schlafstunde bekomme ich dann Krämpfe in den Unterschenkeln. Diese waren nicht im Bereich des Ofens und sind deshalb durchgefroren. Ich stehe auf und bald ist es auch für meine Begleiterinnen Zeit, die gemütlichen Liegen zu verlassen.
Etwas steif machen wir uns bereit für den Abmarsch, verabschieden uns leise aber dankbar vom „Läufer“ und lassen ihm eine 20er-Note auf dem Tisch liegen. – Ca. 4:50 Uhr sind wir zurück auf der Route und gehen weiter Richtung Jochpass. Wir frieren alle und joggen ein wenig, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Wir brauchen eine Stunde bis auf den Jochpass, wo sich gerade der neue Tag ankündigt.
Die Girls sind wieder fit, aber ich etwas angezählt. Deshalb muss ich aufpassen, dass ich im Downhill nach Engelberg nicht abgehängt werde. Das Nebelmeer löst sich dann auf und Engelberg wird sichtbar, was zu folgendem Dialog führt:
Brigitte: „Martin, ist das dort unten Engelberg?“
Ich: „Ja“
Brigitte: „Bist du sicher?“
Ich: *Was denn sonst, Brigitte?* – „Es könnte auch Zollikofen sein. Ich verwechsle die beiden immer!“
Brigitte: *Depp!*
Es ist 7:50 Uhr, als wir beim Hotel Engelberg ankommen. Wie ich dem „Läufer“ schon prognostiziert hatte, brauchten wir genau 3 Stunden ab der Engstlenalp. Reis und Pouletbrust warten im Hotel auf uns. Anja und ich nehmen eine Portion. Brigitte mag nicht, sie will Kaffee und Gipfeli. Ich will vor allem Fusscrème, um meine geschundenen Füsse zu pflegen. Ich habe rund 55 Kilometer auf dem Wecker, die Frauen bereits 225! Nach kurzer Verpflegung bekommen wir noch eine Stunde Ruhe in einem herrlichen Bett.
PS: Ralph Näf hat innerhalb weniger Tage unseren „Läufer“/Gastgeber von der Engstlenalp ausfindig gemacht, so dass wir uns doch noch bei ihm vorstellen und bedanken konnten!
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