Datum: Mo, 16.09.2019
Route: Valgrisenche – Col du Mont – Tignes – Col de la Leisse – La Chavière
Brigitte’s Strecke: 64km
Anja’s Strecke: 64km
Anni’s Strecke: 29km
Martin’s Strecke: 56km
Tagwache um 5:00 Uhr. Es ist immer noch fast Vollmond und eine ganz spezielle Stimmung alleine auf diesem Campingplatz. Es zeigt sich, dass wir einfach 75 Minuten brauchen, bis wir marschbereit sind. So marschieren Brigitte, Anja und ich um 6:15 Uhr mit den Stirnlampen los.
Der Plan für den Morgen sieht wie folgt aus:
Ich begleite Brigitte und Anja über den Col du Mont und weiter bis nach Tignes, wo die Mittagsrast stattfinden soll. Chrige und Silvia treffen uns idealerweise vor Tignes noch irgendwo für einen Zwischenhalt. Andrea, Karin und Anni fahren mit dem Womo direkt nach Tignes und bereiten dort den Mittag vor. Ab Tignes wird grundsätzlich Anni mich ablösen und das Ziel für den Abend werden wir erst dort festlegen können.
Bis zum Col du Mont sind es etwa 10 Kilometer und der Pass liegt fast 1000 Meter höher als Valgrisenche. Genug Arbeit also bis zur Znünipause! – Es geht gleich recht zügig hoch, was aber nach der „langen“ Nacht kein Problem ist. Wir kommen gut vorwärts und geniessen die tolle Morgenstimmung. Es ist immer noch bestes Wetter und es bilden sich jeweils erst am Nachmittag ein paar harmlose Quellwolken, welche sich dann ohne abzuregnen wieder auflösen.
Ich bin in super Stimmung. Wunderschöne Landschaft, tolle Trails, super Begleitung. Einfach zu abschalten und geniessen. – Nach 1:20 haben wir die ersten 600 Höhenmeter hinter uns und wir traversieren auf einem Höhenweg in ein Seitental des Valgrisenche. Ich schaue zurück zum Stausee runter und sehe grad, wie das Wohnmobil wegfährt. Die Betreuerinnen müssen nun zurück ins Aostatal und dann über den Kleinen Sankt-Bernhard-Pass ins Isère-Tal. Wir haben es kürzer, es wird aber trotzdem länger dauern.
Es hat hier überall grosse Felder von Alpenrosen, welche rötlich leuchten. Einfach wunderschöne Natur. Wir sind wieder mal mutterseelenalleine unterwegs und geniessen dies sehr.
Als wir ins Seitental sehen, wird auch der weitere Routenverlauf klar. Runter zum Bach und dann die andere Talflanke hoch bis zum Pass. Vom Bach zum Pass sind es rund 500 Höhenmeter. Die Trails sind toll, aber es hat nicht viele Stellen, welche für uns wirklich schnell laufbar sind. Meistens ist Powerwalking angesagt. Aber immerhin hat es heute nicht so hochtechnische Stellen drin, wie nach Cervinia.
Auf der Karte ist ein Denkmal für 33 Lawinentote im Jahre 1945 verzeichnet. Ich vermute es handelte sich um Soldaten, welche hier im 2. Weltkrieg an der Grenze zwischen Italien und Frankreich stationiert waren. Tatsächlich treffen wir weiter oben auf ein recht grosses Gebäude ohne Dach. Infotafeln weisen es als ehemalige Militärkaserne aus. Die Opfer waren anscheinend grösstenteils Zivilisten, welche Lebensmittel liefern sollten und in einer grossen Lawine umkamen.
Es wäre super spannend, wenn man sich die Geschichten und Tragödien, welche hier schon alles stattgefunden haben, irgendwie in Hologramm-Form oder so einblenden lassen könnte. Unglaublich, was diese Berge schon alles gesehen haben müssen.
Wir sind alle interessiert an den Geschichten, welche hier stattgefunden haben. Leider haben wir aber keine Zeit und müssen weiter.
Es wird nochmals etwas steiler und dann stehen wir nach genau 3 Stunden Marschzeit auf dem Col du Mont. Es ist etwas windig und wir machen unsere Znünipause im Schutz einer alten Steinmauer. Die individuell und von den Betreuerinnen mit Liebe vorbereiteten Sandwichs schmecken hervorragend. Anja entdeckt noch eine Infotafel zum Rundwanderweg „Tour des Glaciers de la Vanoise“ und schon entstehen wieder neue Reisepläne!
Mir macht unsere Pace etwas Sorgen. Nun haben wir in 3 Stunden wieder nur 10 Kilometer geschafft. Wenn es so weitergeht, feiern unsere Jungs ohne Eltern Weihnachten. – Ich überlege mir unsere Möglichkeiten: Entweder wir halten an der Route fest und fahren dann einfach von dort zurück, wo wir am Samstag Abend hinkommen. Oder wir passen die Route an, so dass wir bis Samstag nach Monaco kommen. – Brigitte will unbedingt die ganze Strecke bis Monaco laufen und so werden wir die ursprünglich geplante Route etwas entschärfen müssen.
Wir halten die Pause kurz und nach 10 Minuten geht es weiter. Bis zum Mittagshalt sind es rund 22 Kilometer und Tignes liegt gut 1000 Meter tiefer als der Pass. Super wäre, wenn wir so um 13:00 Uhr (in 4 Stunden) dort wären.
Die Landschaft ändert nicht gross nach dem Pass. Weiterhin viele Alpenrosen und bald sind wir auch wieder im Alpgebiet. Nach 4 Stunden Marsch treffen wir dann die ersten Menschen für heute. Ein Paar, welches auf einer Alp biwakiert hat und anscheinend über den Pass nach Valgrisenche will. Sie fragen uns, ob es weiter oben Wasser hat.
Wir kommen dann auf einen Höhenweg hoch über dem Isère-Tal und folgen diesem Richtung Tignes. Die Hitze des Tages baut sich langsam auf und wir sind froh, dass der Weg meistens im Schatten der Bäume verläuft. Es ist schon kurz vor Mittag und wir haben 20 Tageskilometer auf den Uhren, als wir die Stimmen von Chrige und Silvia hören. Sie haben die geländetauglichkeit des VW-Busses getestet und hier mitten im Wald auf einer Forststrasse einen Verpflegungsposten eingerichtet.
Wir geniessen die kurze Pause bei alkoholfreiem Bier und „Pain au Chocolat“. Nach 20 Minuten sind wir aber bereits wieder auf den Beinen und machen uns auf die restlichen 12 Kilometer bis zum Mittagshalt.
Am Vorabend hatte ich versucht, die heutige Strecke zu optimieren. Anstatt die von Outdooractive vorgeschlagenen Wege einfach zu übernehmen, hatte ich versucht kleine „Abkürzungen“ und „Schleichwege“ zu finden. Ich wollte möglichst wenige unnütze Meter und Höhenmeter laufen müssen, damit wir schneller wären. – Dieser Plan geht nun voll in die Hosen und fliegt mir um die Ohren.
Statt auf guten und sauber markierten offiziellen Wanderwegen zu laufen, bewegen wir uns nun auf zwar vorhandenen, aber unmarkierten Pfaden. Mehrmals kommen wir aus dem Wald, müssen die Schneise einer Skipiste überqueren und finden nachher auf der anderen Seite die Fortsetzung des Pfades nicht. Ich stelle fest, dass der Wald in der vorliegenden Outdooractive-Karte ungenau eingezeichnet ist und die Orientierung deshalb nochmals schwieriger wird. Die Frauen nehmen es cool oder lassen sich zumindest nichts anmerken. Ich ärgere mich aber ziemlich. Wir müssen uns Papier-Wanderkarten besorgen, damit wir die Feinplanung optimieren können!
Nach 2-3 Kilometern sind wir dann wieder auf der originalen Via Alpina-Route und die Situation verbessert sich. Ich kann nun auch wieder die Landschaft geniessen. Die Strecke bis Tignes zieht sich aber noch ordentlich, denn erstens ist es nicht einfach laufbar und zweitens machen sich die Belastungen der letzten Tage doch auch langsam bemerkbar.
Schlussendlich können wir den Höhenweg verlassen und stechen runter ins Tal. Chrige fährt uns mit dem Bike entgegen und lotst uns zum Womo, wo es um 14:30 Uhr Mittagessen, Flüssigkeit und Massagen gibt. Für gut 32 Kilometer haben wir über 8 Stunden gebraucht. Normalerweise ein ausgefüllter Wandertag. Für Brigitte und Anja soll es erst gut die Hälfte des Tagespensums gewesen sein.
Taktisch haben wir nun bereits wieder ein Problem: Ziel wäre gewesen, heute Abend bis Termignon zu kommen. Wir haben aber bis hierher zu lange gebraucht und Termignion liegt deshalb für heute ausser Reichweite. Die Route bis Termignon führt von Tignes über den Col de la Leisse und dann durch ein langes Hochtal. Wir sind uns nicht sicher, wie weit wir mit dem Womo ins Hochtal reinfahren können. Alternativ könnten wir über den Col de l’Iseran marschieren. Vorteil: Überall mit dem Wohnmobil betreubar. Nachteil: Es ist ein Umweg!
Damit wir keine Zeit verlieren, marschieren Brigitte, Anja und Anni nach 50 Minuten Mittagspause wieder los. Die Strecken teilen sich erst weiter oben und wir haben so noch fast 2 Stunden Zeit für die Entscheidungsfindung. Chrige, Silvia und ich fahren mit dem Bus nach Tignes-Lac hoch und wollen uns dort weiter Informationen beschaffen, um eine gute Entscheidung zu fällen. Das Womo kann schon mal bis zum Col de l’Iseran fahren, denn dorthin muss es bei beiden Varianten.
In Tignes leihen wir uns in einem Kiosk eine Wanderkarte aus und studieren diese. Wir haben das Gefühl, mit dem Wohnmobil müssten wir eigentlich recht weit ins Tal hochfahren können. Zur Sicherheit fragen wir auch noch mal beim Tourismusbüro nach. Die meinen auch, dass es gehen müsste, geben uns aber noch die Nummer vom Büro in Termignon. Chrige ruft um 16:55 Uhr an und wird vertröstet es in 10 Minuten nochmals zu versuchen. Um 17:05 Uhr erreicht sie dann aber nur noch den Beantworter, welcher mitteilt, dass das Büro nur bis 17:00 geöffnet hat. – So macht man das auf französisch! 🙂
Wir entscheiden uns für die „riskantere“ aber kürzere Route über den Col de la Leisse. Wir würden bis zum Womo-Stellplatz mindestens 20 Kilometer marschieren müssen. Allenfalls etwas mehr. Falls das Womo nicht ins Hochtal kommt, könnten wir vielleicht mit dem Bus abgeholt werden oder es gäbe einfach eine sehr lange Nacht.
Ich gehe den drei Läuferinnen wieder etwas entgegen und lotse sie zum Bus. Alle Flaschen werden gefüllt und genügend Cola eingepackt. Dann sichergestellt, dass alle warme Kleidung und Stirnlampen dabei haben. Um 17:40 Uhr sind wir bereit und machen uns zu viert auf den Weg Richtung Col de la Leisse. Chrige und Silvia fahren über den Col de L’Iseran nach Termignon und hoch ins Vallon de la Leisse. Wir verabreden, dass uns Chrige mit dem Bike entgegenfährt und uns soweit wie möglich abholt.
Ich freue mich auf diese Etappe und bin gespannt auf die Landschaft. Wir werden in den Vanoise-Nationalpark reinlaufen und wieder mal ziemlich abgelegen unterwegs sein. Tignes ist ein „typischer“ vollgeklotzter französischer Skiort welchen man im Prinzip gerne verlässt. Die Strecke führt dann lange Zeit entlang eines Sessellifts aufwärts. Im Winter sicher ein tolles Skigebiet, ist die ganze Infrastruktur jetzt im Sommer etwas fehl am Platz.
Bis zum Col de la Leisse sind auf rund 7km etwa 650 Höhenmeter zu überwinden. Ich überlege mir, dass kein normaler Wanderer um diese Zeit noch diese Strecke unter die Füsse nimmt. Das macht aber irgendwie auch den Reiz dieses Abenteuers aus. Wir werden heute Abend auf jeden Fall nicht auf viele Leute treffen.
Heute Nacht werden wir fast einen ganzen Tag hinter dem ursprünglichen Zeitplan liegen. Anja sagt mir, dass sie gedacht habe, der Zeitplan sie nicht realistisch, als sie die Route in der Komot-App eingegeben habe. Ich ärgere mich, weil vor dem Start keine Kritik an der Route angebracht wurde. Innerlich bin ich aber vor allem enttäuscht, dass wir vereinfachen müssen, da die geplante Strecke landschaftlich wohl der Hammer gewesen wäre.
Wir nähern uns dem Grande-Motte-Gletscher, auf welchem man bis fast auf 3’500 Meter Höhe Skifahren kann. Die Sonne geht langsam unter und vom Gletscher erreichen uns immer wieder kalte Fallwinde. Wir haben inzwischen die Skipisten hinter uns gelassen und vertreiben noch ein paar Murmeltiere in ihre Höhlen. Die Landschaft wird karger und man kann erahnen, wie es hier ausgesehen hat, als noch alles von Gletschern bedeckt war.
Wir komme gut vorwärts und nach gut 1.5 Stunden stehen wir auf dem Col de la Leisse auf 2’742m. Es ist zügig und wir ziehen die Jacken an. Die Aussicht runter ins Vallon de la Leisse ist gewaltig. Eine steinige Hochebene mit See breitet sich vor uns aus. Diese gilt es als nächstes zu überqueren.
Ich will mich heute Abend mit Anja an den PC setzen und den weiteren, vereinfachten Routenverlauf planen. Wir müssen einen realistischen Plan bis Monaco entwickeln.
Landschaftlich und läuferisch ist es es sensationell. 19:30 Uhr abends, wir vier alleine in dieser grandiosen Landschaft. Brigitte und Anja sind bereits wieder seit über 13 Stunden fast ununterbrochen auf den Beinen. Ich habe das Gefühl, der morgendliche Aufstieg auf den Col du Mont sei gestern gewesen. Was ist heute überhaupt für ein Tag? Und wann sind wir durch Felsen oberhalb Cervinia geturnt?
Irgendwie habe ich total das Zeitgefühl verloren und die Eindrücke sind zu vielfältig, um alle verarbeiten zu können. So muss ein richtiges Abenteuer sein. Die ursprüngliche Route funktioniert nicht, ich bin mir aber trotzdem sicher, dass wir bis Samstag Abend zu Fuss ans Mittelmeer schaffen.
Nach der steinigen Hochebene folgt eine grasige. Zwischendurch können wir ein wenig joggen, wenn der Trail flach und eben ist. Wir wollen das letzte Tageslicht noch nutzen um noch etwas Strecke zu machen. Handyempfang haben wir hier oben schon seit längerer Zeit keinen mehr. Die Infrastruktur des Skigebiets reicht nicht so weit.
Die Stirnlampen werden dann vor 20:30 Uhr notwendig. Auf einer Alp treffen wir auf einen Hirten, welcher natürlich etwas erstaunt ist, uns zu dieser Zeit noch hier anzutreffen. Da er sieht, dass wir gut ausgerüstet sind, lässt er uns ohne Bedenken ziehen und wünscht uns viel Erfolg.
Stoisch marschieren wir durch die Nacht. Wann wird heute Feierabend sein. 21:00 Uhr ist schon durch, 22:00 Uhr kommt schnell näher. Werden wir das Womo vor 23:00 Uhr erreichen? – Wo steht es überhaupt? – Wir haben immer noch keinen Handy-Empfang und somit die Betreuer auch kein Livetracking von uns.
Nach gut 17 Kilometern öffnet sich das Tal dann langsam und wir hoffen, dass wir bald auf Chrige treffen oder zumindest ihre Stirnlampe in der Ferne erspähen können. Lichter sehen wir dann auf einmal einige um uns. Es sind aber nicht Lampen, sondern Tieraugen, welche unsere Lichter reflektieren. Wir werweisen, was es wohl für Tiere sind, welche hier über nachts über die Wiesen streifen. Als dann direkt vor Anja ein Augenpaar vom Trail davontrottet, erkennt Anja einen Wolf. – Spannende und eindrückliche Gesellschaft hier!
Meine Uhr zeigt 18.5 Kilometer, als wir beim „Refuge d’Entre Deux Eaux“ vorbeikommen. Sieht verlassen aus und Chrige wartet leider auch nicht hier. Kurz darauf sehen wir dann aber das blinken einer Stirnlampe weiter vorne. Es verschwindet dann wieder, aber wir sind zuversichtlich, dass es bald ein wiedersehen gibt.
So ist es dann auch. Chrige kommt uns mit Bike, Futter und Getränken entgegen. Die Wiedersehensfreude ist auf beiden Seiten gross. Kurz verpflegen und dann weiter. Chrige eröffnet uns, dass wir noch 5 Kilometer Strecke vor uns haben. Starten tut das ganze mit einem Aufstieg von 300 Höhenmetern. Ich staune ab Chrige, welche neben ihrem Rucksack auch das Bike hier hochträgt. Ich bin ordentlich am schnaufen und sie quasselt noch ganz selbstverständlich vor sich hin. Die macht das nicht zum ersten Mal. Easy going für die passionierte Bikerin!
Wir kommen nochmals an einem Refuge vorbei (Refuge du Plan du Lac) und dann endlich zum grossen Womo-Parkplatz mit unserem Womo drauf. Genau um 23:00 Uhr ist Feierabend! Trockene Kleider anziehen und essen. Die heutige Leistung von Brigitte und Anja war sensationell. Die Stimmung ist aber trotzdem etwas gedrückt, da wir auf diesen schönen, aber anspruchsvollen Strecken zu wenig schnell vorankommen.
Da die Strasse weiter reicht als der Handyempfang, ist die Online-Routenplanung hier nicht möglich. Der Plan für morgen sieht deshalb wie folgt aus: Anni begleitet Brigitte zu Fuss aus dem Tal runter nach Termignon. Anja, Silvia und ich fahren am Morgen möglichst rasch mit dem Bus nach Termignon, suchen Internet-Empfang und beginnen mit der Routenplanung. Andrea, Chrige und Karin folgen uns mit dem Womo, sobald der Platz geräumt ist.
Nachtruhe ist erst kurz vor Mitternacht.
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