Facts Trail du Jura bernois
Strecke: 44 km
Höhenmeter: +1’935m / – 1’935m
Zeit: 6:57:24
Vorgeschichte
Am 12. Oktober war bei mir eigentlich der Hallwilerseelauf eingeschrieben. Dann bin ich über Facebook aber auf den „Trail du Jura bernois“ aufmerksam geworden, welcher am selben Datum stattfindet. Die 44km-Distanz im Berner Jura tönte viel interessanter, als im Pulk um den Hallwilersee zu joggen. Ich hatte einfach Lust, nochmals einen Traillauf zu machen und schon Tage vor dem Event stand der Titel „44 Kilometer nur für mich!“ fest. (Normal weiss ich den Titel jeweils erst nach dem Lauf) – Dass sich der Sinn des Titels während dem Rennen für mich total verändern würde, hatte ich so nicht erwartet.
Die Startzeit ist um 8:00 Uhr. Schöftland – Tramelan am Samstag früh ist in etwas mehr als 60 Minuten zu schaffen. Also 5:25 aufstehen, 5:50 Uhr abfahren und kurz vor 7.00 Uhr die Startnummer abholen. Ich setze mich nochmals ins Auto, bereite alles vor und höre ein wenig Musik. Ich mutmasse über meine Finisherzeit. 6 Stunden wären super. Aber wie ich mich kenne habe ich dann auf einmal 7 Stunden. Also nicht stressen lassen, einfach mal probieren was geht. Wenn es 6 Stunden sind super, wenn es 7 Stunden sind egal!
Um 7:40 Uhr begebe ich mich zum Startraum. Die Temperatur ist erfreulich mild. Ich hätte es kälter erwartet. So verzichte ich auf Stirnband oder Mütze und setze sogleich die Schirmmütze als Sonnenschutz für später auf. Die Stöcke lasse ich im Auto, da ich nicht so viele technische Abschnitte erwarte. Diese Entscheidung sollte ich später noch bereuen.
Tramelan – Chasseral
Punkt 8:00 Uhr erfolgt der Start. Geschätzt sind es etwa 120 – 130 Läuferinnen und Läufer, welche sich auf den Weg machen. Am Anfang geht es auf einem breiten Weg und so kann sich das Feld tiptop einsortieren, ohne dass es Stress gibt. Ich starte recht weit hinten und hoffe, dann etwas nach vorne laufen zu können.
Aus der Strasse wird ein Feldweg und dann geht es in den Wald. Von den Regenfällen dieser Woche ist es teilweise etwas rutschig. Mir gefällt es aber und ich versuche etwas Gas zu geben und möglichst viel zu joggen. Die Strecke ist sehr abwechslungsreich. Es geht durch den Wald, über Wiesen und über die typischen Juraweiden mit den Tannen drauf.
Nach 40 Minuten haben wir den ersten Anstieg von 900 Meter auf 1220 Meter geschafft und es geht vorbei an den östlichsten Windkraftwerken auf der Ebene Richtung Col Mont Crosin. – Der Aufstieg war kein Problem. Hier auf der Ebene muss ich mir aber Mühe geben, dass ich den Laufschritt einhalten kann. Ich versuche mich von anderen Läufern ziehen zu lassen und das klappt gar nicht so schlecht.
Im Kopf gehe ich die Strecke durch. Jetzt mit wenig auf und ab auf der Höhe Richtung Mont-Soleil. Dort runter nach Villeret, wo die erste Verpflegung wartet. Dann der Teil, auf welchen ich mich am meisten freue: Den Aufstieg durch die Combe Grède hoch zum Chasseral (2. Verpflegung). Dann ca. 8 Kilometer leicht abwärts auf der Krete Richtung Osten. Wieder runter ins Tal nach Cortébert (3. Verpflegung) und dann noch 5 Kilometer zurück über die 2. Jurakette nach Tramelan. – Tönt vielversprechend und ich freue mich auf jeden Kilometer.
Es läuft wunderbar und ich kann mich heute wirklich zum joggen motivieren. Über eine Weide nähern wir uns dem Col Mont Crosin. Ich schwelge in ein paar Erinnerungen an den 100km-Marsch im Militär, bei welchem hier ein Verpflegungsposten war. Ist 20 Jahre her. – Der Lauf ist aus meiner Sicht professionell organisiert. Bei der Passstrasse stehen Hilfspersonen, welche den Verkehr für uns anhalten. Wir können ohne Halt drüberlaufen.
Kaum auf der anderen Strassenseite angekommen geht es dann auf einmal ganz schnell. Ich stolpere bei recht hohem Tempo und kann mich nicht mehr auffangen. Instinktiv mache ich mich rund und rolle auf dem Asphalt ab. Eine halbe Sekunde bin ich stolz, dass ich in einer Bewegung gleich wieder auf die Beine komme und weiterlaufen kann. In der nächsten halben Sekunde realisiere ich, dass ich ein Problem habe. Das linke Fussgelenk zeigt den typischen Schmerz von verletzten Bändern.
Unglaublich! – Nach 9 Kilometern auf nassen Wurzeln, schmierigem Waldboden, Steinen, nassen Wiesen und löchrigen Weiden, übertrete ich mir auf den gefühlt ersten 8 Metern Asphaltstrasse den Fuss. Da soll noch einer sagen, Trailläufe seien gefährlich. Strassenläufe sind es! – Die Strasse steigt leicht an und so kann ich ohne schlechtes Gewissen in den Marschschritt wechseln. Die Läufer hinter mir, welche den Vorfall beobachtet haben, überholen mich und fragen alle besorgt „ça va???“. Es hat wahrscheinlich schon ziemlich spektakulär ausgesehen.
Ich mache kurz einen Körpercheck. Am rechten Handballen habe ich erstaunlich kleine Kratzer. Durchs abrollen sind aber die Ellbogen und Knie in Mitleidenschaft gezogen worden und ich habe dort kleine Schürfungen, welche leicht bluten. Rechts etwas stärker als links. Mein wirkliches Problem ist aber das linke Sprunggelenk. Das schmerzt ziemlich und ich weiss nicht, ob ich deswegen den Lauf werde abbrechen müssen. Üble Sache, Maloney!
Eine ähnliche Situation hatte ich vor Jahren mal beim Sardona-Trail. Damals konnte ich das Rennen fertig machen und die Schmerzen hielten sich in Grenzen und wurden nicht schlimmer. – Die Schulmethode in der Situation wäre: PECH: P für Pause (Aktivität sofort abbrechen), E für Eis (Gelenk sofort kühlen), C für Compression (Sofort Druckverband um die Schwellung zu vermindern), H für Hochlagerung (Den Blutdruck auf der verletzten Stelle vermindern, damit weniger Blut in die umgebenden Gewebeteile fliesst). – Ich freue mich, dass ich die Punkte auswendig zusammenbringe, aber die Methode schafft einen Zielkonflikt mit meinem Ziel den Lauf zu beenden.
Ich entscheide mal weiterzumachen. Über die Ebene und bis runter nach Villeret wird es wohl noch gehen. Dort kann ich dann entscheiden, ob ich abbrechen will. – Als es wieder flach wird, versuche ich ein wenig zu joggen. Es funktioniert so halbwegs, aber nur wenn ich wirklich kontrolliert auftreten kann. Und ich hinke ein wenig, das heisst ich laufe mit Schonhaltung, was über die Zeit Probleme durch die unsymmetrische Belastung geben könnte.
Zum Glück ist das hier passiert und nicht irgend jemandem während Run for Hope. Da hätte ein solcher Unfall grössere Konsequenzen gehabt. – Landschaftlich gefällt es mir immer noch super. Der Chasseral und die Combe Grède sind in Sicht auf der anderen Talseite. Ich bin aber frustriert, dass ich nun laufend überholt werde. Ich möchte allen erklären, dass ich eigentlich viel schneller wäre, wenn ich nicht verletzt wäre.
Nach 13 Kilometern startet der Downhill nach Villeret. Wie befürchtet wirkt sich die Verletzung abwärts mehr aus als flach oder aufwärts. Die Frustration wächst. – Ich merke, dass ich mit diesem mentalen Zustand, unabhängig vom Zustand des Fusses, nicht ins Ziel komme. Wahrscheinlich wäre es sinnvoller abzubrechen. Aber andererseits ist eine Bänderdehnung nicht lebensgefährlich, der Tag ist super, die Strecke ist super und ich komme immer noch vorwärts. Ich denke auch beim Aufstieg auf den Chasseral wird mich die Verletzung nicht so stark behindern. Wieso mache ich nicht einfach entspannt weiter und probiere, wie weit ich komme. Zeitlich bin ich bis jetzt unter einem 6-Stunden-Finish unterwegs und wenn ich dann auch 7 oder 8 Stunden habe, wäre das im Prinzip egal. Es ist erst 9:30 Uhr. Da kann ich doch einfach mal bis Mittag oder 14:00 Uhr probieren und dann immer noch abbrechen, wenn es wirklich nicht mehr geht. „44 Kilometer nur für mich!“ bekommt eine neue Bedeutung. Ich lasse mich von Zeit oder Rangliste nicht stressen und mache einfach geduldig weiter. Mal sehen, wie weit ich komme.
Der Downhill bis Villeret ist mühsam. Im Dorf hat es dann Zuschauer und ich werde psychisch wieder auf die Probe gestellt. Ich möchte wieder erklären, dass ich weiter vorne und schneller laufen würde, wenn …. – Mindfuck! Bringt nichts! Ich gehe noch mal in mich, erinnere mich an den T88 dieses Jahr oder meinen ersten E101. Wer geduldig dranbleibt kommt häufig weiter, als jemand der schnell dreinschiesst und dann bei den ersten Problemen aufgibt.
Die Verpflegung ist nach dem Dorf, direkt vor dem Eingang zur Schlucht. 17 Kilometer sind geschafft in unter 2 Stunden. Das ist immer noch okay. Ich fülle meine Flaschen, trinke ein paar dl Rivella und greife mir eine paar Stückchen Schokolade. Ein Knoppers habe ich schon vor ein paar Kilometern unterwegs gegessen. Nach der Verpflegung werfe ich noch eine Salztablette ein, da ich doch recht viel geschwitzt habe.
Dann geht es rein in die Schlucht. Am Anfang noch recht flach und auf breitem Weg, dann wird es enger und steiler. Die Combe Grède ist wirklich eine Wanderung wert. Ziemlich spektakulärer Weg mit fixen Leitern und teils Seilen zur Sicherheit. Aufwärts mag ich mit dem Tempo der Läufer um mich mit. Allerdings behindert mich der Fuss doch etwas. Ich muss auch aufpassen, dass ich durch die Schonhaltung keine Wadenkrämpfe kriege. Die Stöcke wären nun hilfreich.
In der Schlucht ist es sehr ruhig und friedlich und ich geniesse diese Stimmung. Der Bach ist trocken und deshalb auch still. Einzig das leichte knirschen der Schuhe auf dem steinigen Boden ist zu hören. Ich muss etwas kämpfen und bin froh, als es dann von oben heller wird und wir aus der Schlucht rauskommen.
Die Strecke führt dann stetig steigend durch ein Tal Richtung Osten. Ich werde wieder überholt, das ist mir nun aber egal. Ich komme wandernd recht gut vorwärts. Als dann der Schlussanstieg zum Chasseral startet und es steiler und technischer wird, bekomme ich grössere Probleme mit dem Sprunggelenk. Ich bin nicht sicher, ob ich abbrechen muss. Die letzten paar hundert Meter sind dann auf einer Asphaltstrasse und dort geht es wieder besser.
Der Verpflegungsposten inklusive Zwischenzeit befindet sich direkt beim imposanten Sendeturm. Das Ding ist schon riesig, wenn man direkt davor steht. Ich fülle meine Flaschen, trinke wieder etwas Rivella und bediene mich an der feinen weissen Schokolade mit Himbeersplitter oder so etwas drin.
Chasseral – Tramelan
Das Anlaufen nach dem Stopp macht keinen Spass. Doch grad als ich zu hadern beginnen will, komme ich an einer Frau im Rollstuhl und direkt anschliessend an einem Mann mit Krücken vorbei. Mir wird bewusst, dass ich nichts zu meckern habe. – Der Trail wird dann aber gleich etwas technisch und ich habe wirklich Mühe mit vorwärts kommen. Zum Glück ist es nur ein kurzes Stück und der Rest des Wanderwegs auf der Chasseral-Krete ist gut zum wandern.
Es hat hier viele Wanderer unterwegs, welche den tollen Tag mit super Aussicht geniessen. Ich bin froh, um jeden Kilometer, welchen ich hinter mir habe, bzw. weniger vor mir habe. Nach 3 Stunden hatte ich etwas mehr als die Hälfte der Strecke und deutlich mehr als die Hälfte der Höhenmeter geschafft. Ohne Verletzung müsste ich den Lauf also in 6 Stunden finishen können. Wir werden das nächstes Jahr testen!
Ich wäre nun froh um meine Trekking-Stöcke, welche im Auto liegen. Herbeizaubern kann ich diese aber nicht. – Wettertechnisch ist es heute super zum laufen. Am Start war es ziemlich mild für die Jahreszeit, bei Villeret spürte man dann die Kälte, welche sich im Tal angesammelt hatte. Auf dem Chasseral war es recht windig, aber trotzdem nicht kalt. Und nun ist es einfach ein toller Herbsttag mit einer tollen Farbenvielfalt.
Nach gut 30 Kilometern Strecke verlassen wir dann die Krete und es geht wieder Richtung Tal. Auf einer Waldstrasse komme ich gut vorwärts, bis auf einmal bei jedem Schritt ein stechender Schmerz im Fuss entsteht. Sehr beunruhigend! Wenn ich das nicht wegbringe, ist das Rennen 12 Kilometer vor dem Ziel zu Ende. Immerhin bin ich grad bei einem Jura-Berg-Restaurant und würde hier sicher eine Mitfahrgelegenheit finden. Ich habe aber das Gefühl, dass es möglicherweise mit der Schwellung und dem daraus entstehenden Druck auf den Fuss zusammenhängt. Hinter dem Restaurant setzte ich mich hin und schaue mir das Fussgelenk mal an. Sieht etwa aus wie erwartet. Ich löse die Schnürung etwas und binde den Schuh ein Loch weniger hoch. Dann probiere ich weiterzugehen. Erfreulicherweise ist das Stechen weg und die Reise kann fortgesetzt werden.
Der Downhill bis Cortébert macht mir etwas Sorgen, da ich steile, technische Stellen erwarte. Der Routenverlauf ist wie meist im Jura sehr abwechslungsreich und deshalb kurzweilig. Die Restkilometer sind mittlerweile im einstelligen Bereich und ich bin ziemlich sicher, dass ich den Lauf fertigmachen kann. Zeitlich werde ich wohl zwischen 7 und 7.5 Stunden reinkommen. Das passt.
In Cortébert ist der letzte Verpflegungsposten. Ich bin mental etwas erschöpft, da ich die ganze Zeit sehr konzentriert und vorsichtig marschieren muss um nicht nochmals umzuknicken oder sonst schmerzhaft aufzutreten. Wasser, Rivella, Cola, Schokolade, Banane. Ich frage nach den Restkilometern, welche mir mit 5 angegeben werden. So sieht es auch meine Uhr und ich bin beruhigt. – Etwa 700 Metern nach der Verpflegung kommt dann die Tafel „Last 5km“. Es dauert also doch noch etwas länger als gehofft.
Dann geht es in den letzten Aufstieg. Gut 400 Höhenmeter stehen auf dem Programm. Steile Forststrasse auf welcher sich gut marschieren lässt. Endlich ist der Kreislauf wieder der limitierende Faktor und nicht das Fussgelenk. Ich kann 2 Männer und 2 Frauen überholen. Die beiden Frauen überholen mich dann vor dem Ziel wieder. Die Männer lasse ich hinter mir.
Ich bin froh, als ich den Anstieg hinter mir habe. Es ist Zeit, das Ding zu beenden. Die restlichen drei Kilometer führen gefällig über Juraweiden und nachher sanft runter nach Tramelan.
Einen Kilometer vor dem Ziel schaue ich auf die Uhr. 6:48h Laufzeit. Ein Finish unter 7h liegt noch drin, wenn ich einigermassen vorwärts komme. Ich versuche es nochmals mit joggen. Im Laufstil „Angeschossener Rehbock“ humple ich ein paar dutzend Meter durch den Wald. Dann sticht es aber wieder im Fuss und ich verlangsame wieder. Bald komme ich aus dem Wald und es sind nur noch 250 Meter bis zum Zielbogen.
Nach 6:57:24h stoppt die Uhr für mich. Ich bin zufrieden und erleichtert. Der Tag ist zwar nicht gelaufen, wie ich erwartet hatte. Die Strecke hat aber die Erwartungen voll erfüllt und ich werde wiederkommen!
Fazit
Wäre es besser gewesen, den Lauf nach dem Unfall abzubrechen? – Wahrscheinlich wäre es sinnvoller gewesen. Allerdings ist es schwierig, das Ausmass der Verletzung sofort zu erkennen. Hätte ich den Lauf schon mal gefinisht, wäre es sicher auch eine andere Situation gewesen. Mir geht es ja jeweils auch darum, die Gegend und neue Wege kennen zu lernen. Aus diesem Aspekt wäre der Abbruch ein grosser Verlust gewesen. – Am meisten habe ich aber vom mentalen Prozess profitiert, die neuen Rahmenbedingungen anzunehmen und das Ziel trotz erschwerter Bedingungen zufrieden zu erreichen. Manchmal läuft es einfach etwas anders, als man geplant hat.
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